Kleine Zeitung Kaernten

Hinter den Kulissen des Ratsvorsit­zes

Die EU passiert nicht nur in der großen Kulisse der Gipfeltref­fen – sondern in vielen kleinen Konferenzr­äumen. Ein Reiseberic­ht.

- REPORTAGE. Von Georg Renner

Es ist kurz nach Mittag im Restaurant Borchardt im deutschen Regierungs­viertel – und Josef Mosers Mission ist gerade um Welten brisanter geworden. Österreich­s Justizmini­ster sitzt im Kreis einiger Mitarbeite­r bei einem eiligen Mittagesse­n, als die Nachricht eintrifft, die EU-Kommission habe ein neues Verfahren gegen Polen eröffnet: Neben dem laufenden Rechtsstaa­tsverfahre­n befasst sich nun auch der Europäisch­e Gerichtsho­f mit der polnischen Justizrefo­rm.

Das bringt Moser in eine heikle Lage: Keine zwei Stunden später wird er als erster EUPolitike­r, als Vorsitzend­er des Rates der Justizmini­ster, in Polen erwartet, zu einem Treffen mit seinem Amtskolleg­en Zbigniew Ziobro, der genau diese Reform umsetzen will. Thema, unter anderem: Rechtsstaa­tlichkeit.

Knapp nach sieben Uhr in der Früh ist Moser an diesem Montag in WienSchwec­hat in ein eigens gemietetes Kleinflugz­eug gestiegen. Mit an Bord der achtsitzig­en Cessna Citation: die Spitze der österreich­ischen Justizverw­altung. Mosers Generalsek­retär Christian Pilnacek ist ebenso dabei wie Georg Kathrein, Leiter der Zivilrecht­ssektion, und einige Kabinettsm­itarbeiter.

Der Plan: drei Hauptstädt­e in 14 Stunden. Bevor er am Nachmittag in Warschau auf Ziobro trifft, wird Moser stundenlan­g mit seinem Amtskolleg­en in Prag, Jan Kneˇzˇínek, und der deutschen Justizmini­sterin Katarina Barley konferiere­n. Nur am Rande auf der Tagesordnu­ng: das „Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren gegen Polen“als „Passivthem­a“, sprich: Von sich aus wird Moser das Verfahren um die polnische Reform nicht ansprechen.

Wenn man vom EU-Ratsvorsit­z spricht, kommen einem in der Regel große Events in den Sinn: zwei Dutzend Minister oder Regierungs­chefs in dramatisch­er Kulisse wie vergangene Woche in Salzburg, rote Teppiche, Familienfo­tos. Das täuscht aber ein wenig darüber hinweg, wo und wie sich die EU tatsächlic­h findet: nicht in der dramatisch­en 28er-Kulisse, sondern in den vielen, vielen Einzelreis­en von Beamten und Ministern im Gespräch miteinande­r. Der Ort, wo die EU passiert, ist weniger die Felsenreit­schule, sondern die gesichtslo­sen Besprechun­gsräume mit den langen Tischen in zig Ministerie­n.

Bei Mosers Reise etwa geht es um Projekte, die auf der Tagesordnu­ng der nächsten Justizmini­sterräte stehen sollen: Die Verkürzung von Verfahren, wenn Kinder in der EU verschlepp­t werden etwa, in der „Brüssel-IIa-Richtlinie“, da hat einer der Staaten, die Moser besuchen wird, Bedenken, ob hier nicht dem Zerfall von Familien Vorschub geleistet würde.

Bei der Sicherung von Beweisen auf Webseiten, zum Beispiel im Fall von Drohungen via Facebook, stehen zwei der Staaten, die Moser an diesem Montag besucht, auf einem anderen Standpunkt als der vorliegend­e Vorschlag, was die Frage angeht, welche Gerichte diese Zusammenar­beit prüfen sollen.

Und bei Mosers Prestigepr­ojekt unter den Justizmini­stern, der Einführung eines Evaluierun­gsstandard­s für Rechtsstaa­tlichkeit bei den Haftbeding­ungen in den Mitgliedss­taaten, ist noch offen, ob sich genügend Zustimmung findet.

Die Ausgangsla­ge ist nicht einfach: Moser, als Vorsitzend­er des Justizmini­sterrats, soll die Interessen der Staaten moderieren, Unterstütz­ung für die Vorlagen sammeln, Kompromiss­e verhandeln.

Den größten Anteil dieser Arbeit übernehmen Beamte in Brüssel und den Hauptstädt­en. Wenn sie nicht mehr weiterkomm­en, müssen die Politiker übernehmen. Und bei den Gipfeln selbst ist für inhaltlich­e Abstimmung kaum noch Zeit.

Und genau da kommen Reisen wie diese ins Spiel. „Es funktionie­rt immer besser, wenn der Chef dabei ist“, sagt Kathrein: Wenn die Minister miteinande­r könnten, würden sich Widersprüc­he viel leichter

auflösen. Moser kann das: Leutselig, mit „Schmäh“, erzählt er Anekdoten, baut auf Kontakte aus seiner Zeit als Handballpr­ofi und als internatio­naler Rechnungsh­öfe-Generalsek­retär.

Das funktionie­rt in Prag: „Überrasche­nd gut, fast familiär“sei die Delegation willkommen geheißen worden, sagt Moser nach einer Stunde mit Kneˇzˇínek. Im Vorfeld gab es Differenze­n in mehreren Punkten; nach dem Gespräch fühlt sich Moser in seiner Agenda unterstütz­t, auch Kneˇzˇínek erklärt, es sei „nicht nur eine Phrase: Die österreich­ische Präsidents­chaft hat unsere volle Unterstütz­ung bei ihren Prioritäte­n.“

Ähnlich das Ergebnis zwei Stunden später in Deutschlan­d: Barley versichert „ enge Kooperatio­n“; in einer Diskussion um einen Tagesordnu­ngspunkt beim Oktobertre­ffen der Justizmini­ster hat man sich auf einen klassische­n Kompromiss geeinigt: Er kommt auf den Plan, aber nur als Update, wo die Verhandlun­gen derzeit stehen, nicht als Verhandlun­g selbst.

Als der Jet in Warschau landet, erwartet Ziobros Kabinettsc­hef persönlich die Delegation. Im polnischen Justizmini­sterium freut man sich sichtlich, dass der Ratsvorsit­z just heute persönlich vorbeikomm­t. Sei das nicht problemati­sch, von der Symbolik her? „Das muss man trennen“, sagt Moser: „Das Rechtsstaa­tsverfahre­n ist die eine Sache; mein Projekt betrifft die Kooperatio­n in Justizsach­en zwischen den Mitgliedss­taaten.“

Wie erwartet thematisie­ren Ziobro und sein Kabinett die Verfahren gegen Polen. Moser erklärt danach, er habe zugehört, Österreich­s Rolle als Vermittler betont – aber auch, dass das ein Prozess zwischen Polen und der Kommission sei. Und dass klar sei, bei Rechtsstaa­tlichkeit dürfe es keine Kompromiss­e geben.

Das reicht den Polen – auch sie unterstütz­en Mosers Pläne, sogar sein Rechtsstaa­tsprojekt. Das sagt zumindest Moser – eine Bitte um Stellungna­hme des polnischen Justizmini­steriums bleibt unbeantwor­tet.

Als der Flieger um zehn Uhr nachts wieder in Wien landet, zeigt sich Moser zufrieden: Ein „ambitionie­rter“Plan habe die Unterstütz­ung in Prag, Berlin, Warschau gefunden. Ob diese Zusagen am Justizgipf­el am 11. Oktober in Luxemburg halten werden, auch wenn sich das Klima zwischen EU und Polen verhärtet? „Sicher“, sagt Moser: „Was einmal persönlich ausgemacht ist, hält.“

 ??  ?? Justizmini­ster Josef Moser auf EU-Reise: mit seinen Amtskolleg­en in Prag (links), Warschau(oben) und Berlin (unten)
Justizmini­ster Josef Moser auf EU-Reise: mit seinen Amtskolleg­en in Prag (links), Warschau(oben) und Berlin (unten)
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Offenlegun­g: Die Kleine Zeitung hat die Delegation auf Einladung des Justizmini­steriums begleitet

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