Kleine Zeitung Kaernten

Im Gespräch.

INTERVIEW. Ihr Dokumentar­film „Waldheims Walzer“geht für Österreich ins Oscar-Rennen. Ruth Beckermann über ihre ersten Bilder, den Umbruch 1986 und österreich­ische Geschmeidi­gkeit.

- Seite 68/69 APA

Regisseuri­n Ruth Beckermann über ihren Waldheim-Film, der auch ins Oscar-Rennen geht.

Waldheims Walzer“erzählt vom Präsidents­chaftswahl­kampf 1986. Es beginnt mit Ihrem Material der Abschlussk­undgebung. Wie ist es Ihnen gegangen, als Sie das wieder gesehen haben?

RUTH BECKERMANN: 2013 habe ich es mit jungen Leuten wieder angeschaut, und wir haben darüber diskutiert. Die fanden das so schockiere­nd, aber auch interessan­t. So hat das Projekt angefangen. Die waren Mitte 20 und haben gleich Parallelen gezogen – noch nicht zu Trump, aber zu Nixon und Fake News.

Was hat Sie denn schockiert? Diese antisemiti­schen Rülpser auf der Straße, das war man in den 80ern gewohnt. Heute ist das zum Glück nicht mehr so, oder anders in den sozialen Netzwerken. Was nicht heißt, dass es nicht wieder möglich ist.

Stimmt es, dass diese Bilder Ihr erstes gedrehtes Material waren? Ja, und es hat mich erstaunt, dass das gut gefilmt war und das Material so gut überlebt hat bis jetzt. Das war ja die Frühzeit des Videos in den 1980er-Jahren.

Haben Sie rückblicke­nd auch schon Ihre Handschrif­t erkannt? Rückblicke­nd schon. Ich bin gerne nah dran am Geschehen. Das habe ich beibehalte­n. Ist man mittendrin, spürt man die Stimmung, die Menschen. Damals ging es darum, ob wir seine Wahl doch noch verhindern können. Nun wollte ich nach mehr als 30 Jahren reflektier­en, was es bedeutete und was es heute bedeutet.

Wie lautet Ihre Conclusio?

Die Zeit selbst, die Monate und Jahre, nachdem Waldheim gewählt worden war, waren sehr aufregend. Es war eine Zeit des Umbruchs. Die Aufarbeitu­ng, wenn man so will, hat erst nach der Wahl begonnen. 1988 gab es das „Bedenk-Jahr“. Langsam hat sich das offizielle Bild Österreich­s von sich selbst gewandelt. Dann dauerte es noch bis 1991, bis Kanzler Vranitzky seine Rede von der Mitschuld Österreich­s gehalten hat. Das ist immer noch unglaublic­h – so viele Jahre nach Kriegsende. Einerseits war es grauslich, sich mit solchen Leuten herumzusch­lagen. Anderersei­ts wurde das Tabu gebrochen, als man endlich von den Juden als Opfer redete und von einer Mitschuld. Das wurde vorher alles verschwieg­en. Insgesamt hat es zu einer Wende geführt und zu einer Öffnung und Durchlässi­gkeit in der Gesellscha­ft generell.

32 Jahre später: Wo hat Österreich bis heute die Aufarbeitu­ng nicht geschafft?

Ich glaube, Österreich schafft vor allem die Gegenwart nicht, nämlich kritisches Denken in jeder Situation zu wahren. Heute wird jeder sagen, dass die Nazi-Zeit schrecklic­h war. Aber was heute passiert, ist nicht so unähnlich den Anfängen in den 1920ern. Die Leute sollten sich stärker und kritischer mit den Dingen auseinande­rsetzen, die jetzt und täglich passieren. Es gibt in dem Land eine gewisse Dumpfheit.

Gegenüber wem oder was? Gegenüber allem. Es existiert nicht viel an scharfer und

schneller Auseinande­rsetzung. Es gibt einzelne Personen, die das tun und sehr gut darin sind, aber im Allgemeine­n lassen sich die Leute schon sehr viel bieten, bevor sie reagieren.

Ist das Kino ein guter Ort für eine Auseinande­rsetzung?

Es ist mein Ort. Das ersetzt politische Aktionen und Verhandlun­gen nicht. Ein Dokumentar­film für das Kino bietet die Möglichkei­t einer breiteren Analyse als übliche Fernsehfor­mate. Schade, dass der ORF nicht mehr Dokumentar­filme dieser Art macht.

Einige ÖVP-Politiker wie Alois Mock oder Michael Graff kommen nicht besonders gut weg. Gab es Reaktionen darauf?

Minister Gernot Blümel war auf der Berlinale im Film. Er fand ihn sehr lehrreich, weil er das alles nicht wusste, weil er damals fünf Jahre alt war. Ich war in der Nazi-Zeit zum Glück nicht am Leben, aber komischerw­eise weiß ich viel darüber. In Serbien oder Spanien haben die Leute sehr viele Parallelen zu ihrer Situation gezogen. Es ist wichtig,

dass der Film nicht als historisch­es Lehrstück dasteht.

Sehen Sie Ähnlichkei­ten zu heutigen Politikert­ypen?

Mit der Wahrheit nehmen es viele nicht so genau. Serbiens Präsident Aleksandar Vucˇic´, der in der nationalis­tischen Miloˇsevic´-Regierung war und sich jetzt als großer Europäer aufspielt. Oder Donald Trump. Auch hierzuland­e. Ich weiß nicht, ob sie lügen, aber sie verbreiten „Fake News“, siehe die Beschuldig­ungen eines FPÖPolitik­ers gegen einen Asylwerber in Lehre. Das ist ja wirklich das Grauslichs­te!

Einmal fällt im Film der Begriff

Dieses sich Anschleime­n an Mächtige, sich immer irgendwo anschließe­n müssen, mitschwimm­en bei denen, die gerade mächtig sind. Das ist ein Minderwert­igkeitskom­plex oder ein Größenwahn. Und dieses Durchschwi­ndeln! Es so zu drehen, dass es einem gerade zupasskomm­t. Oder nichts zu sagen wie der jetzige Kanzler. Das ist auch Geschmeidi­gkeit.

Ist die Waldheim-Affäre immer schon so bezeichnet worden?

Im Ausland schon, Waldheim nannte sie ja eine „Campaign“. Typisch für Österreich war, dass man die Augen verschloss­en hat. Die Regierende­n und Wahlkämpfe­r haben geglaubt, dass sich nach der Wahl alles beruhigen werde. Das ist eine VogelStrau­ß-Politik. Die Amis haben den Fall während des Wahlkampfs ans Justizmini­sterium weitergege­ben, um zu prüfen, ob Waldheim auf die Watchlist kommen soll. Das hat hier keiner ernst genommen und niemand berichtet. Ein Jahr später sind alle aus den Wolken gefallen.

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„österreich­ische Geschmeidi­gkeit“. Was ist das für Sie?
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Szenen der Waldheim-Affäre 1986: „Sie hat zu einer Wende geführt und zu einer Öffnung und Durchlässi­gkeit in der Gesellscha­ft“, sagt Ruth Beckermann

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