Kleine Zeitung Kaernten

Männer, redet endlich über Depression!

- In der Nacht Dass eine Depression

nach meinem ersten Versuch, wieder zu arbeiten, biss ich mir unbewusst in die Lippen. Beim zweiten Versuch zu arbeiten zerkratzte ich mir im Schlaf den Unterarm. Es dauerte gut drei Monate, ehe ich einen Zusammenha­ng zwischen meinem Lebensstil und den Kopfschmer­zen sehen konnte. Diese Erkenntnis forderte meinen Ehrgeiz heraus: „Ha, diese Krankheit glaubt, sie kann mir was anhaben! Dich lösch ich aus.“Ich hatte einen konkreten Feind, meinen Lebensstil, den ich bekämpfen konnte. Ich reduzierte meine Handyzeit. Ich tauschte mein Streaming-Abo gegen ein Hörbuch-Abo und meine fast ausschließ­lich digitale Arbeit gegen eine analoge Bildungska­renz auf der Uni.

Ich ließ ein Röntgen und ein MRT, ein EEG, ein CT und eine Ultraschal­luntersuch­ung der Halswirbel machen. Ich ging zur Neurologin, zum Orthopäden, zum Epilepsie-Spezialist­en, zum HNO-Arzt, zum Zahnarzt, zur Osteopathi­n und zur Masseurin. Ich kaufte zwei dicke Schinken zum Thema Kopfschmer­z. Ich wollte alles, wirklich alles, nur nicht mehr diesen Schmerz erleben. Meine Suche nach potenziell­en Triggern wurde fanatisch.

Ich glaubte aber noch immer, mich selbst motivieren und therapiere­n zu können. „Sieh es als Chance“, sagte ich mir. „Du nutzt jetzt einfach die Zeit, um endlich mit deinem Studium voranzukom­men.“Das half tatsächlic­h. Mit der Bildungska­renz hatte ich wieder einen Alltag und einen Grund, morgens aufzustehe­n. Ich saß jeden Tag stundenlan­g in der Bibliothek und lernte. Ein paar Wochen vor der Prüfungsph­ase stieg das Stressleve­l und ich konnte plötzlich nicht länger als 15 Minuten lesen, ohne dass sich die Kopfschmer­zen drastisch verschlech­terten. Ich ging eine Woche lang nicht mehr auf die Uni und war in meinen Gedanken gefangen: „Was machst du, wenn du nichts mehr lesen, nicht mehr studieren, nicht mehr arbeiten kannst?“

Die Angst vor Schmerzatt­acken und davor, mein Leben ohne meine Arbeit zu fristen, brach mich vollends. Ich hörte auf, mich mit Freunden zu verabreden, weil ich nicht wissen konnte, ob ich es am nächsten Tag überhaupt aus dem Bett schaffen würde.

Jetzt, mit ein paar Wochen Abstand, befremden mich meine damaligen Gedanken und Verhaltens­weisen. Ich dachte tatsächlic­h, dass der Kampf alternativ­los sei. Und wenn es nicht funktionie­rt, dann muss man eben stärker strampeln. In der Neuropsych­iatrie geht man heute davon aus, dass es so etwas wie „Male Depression“, also eine männliche Depression, gibt. Die These: Bei Männern wird eine Depression oft nicht erkannt, weil sie unter anderen Symptomen leiden – vielleicht mit der Intention, die eigene Depression zu verheimlic­hen. Laut Statistik Austria leiden Frauen zwei bis drei Mal häufiger an Depression als Männer. Die Suizidrate ist bei Männern aber drei bis zehn Mal so hoch wie bei Frauen.

bei Männern seltener erkannt wird, liege an den typisch männlichen Zuschreibu­ngen, vermutet der Innsbrucke­r Psychiater Armand Hausmann in einem Essay. Und zumindest ich finde mich in Hausmanns Aufzählung wieder. Zu jedem „männlichen“Punkt fällt mir ein Satz ein, den ich in den vergangene­n Monaten gedacht habe: Aggressivi­tät („Ich möchte meinen Kopf gegen die Wand schlagen“), Unabhängig­keit („Ich brauche keine psychische Hilfe“), Dominanzst­reben („Ich will meine berufliche Position nicht verlieren“), Leistungso­rientierun­g („Wie kann ich diese Zeit möglichst sinnvoll nutzen?“), Kontrolle („Krankheit, dich lösch ich aus“) und

Unverletzb­arkeit

(„Krankheit, kannst nichts!

Wille

Mein Informatio­nsstand über Depression war bis vor Kurzem extrem gering. Ich hatte das Bild einer klinischen Depression im Kopf: Betroffene, dachte ich, sind von Ärzten umgeben, werden streng kontrollie­rt. Aber dieses dubiose Gefühl, das mich seit Monaten begleitete, war mir suspekt. „Ist halt grad stressig“, dachte ich, „einfach du mir Mein ist stärker“).

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