Kleine Zeitung Kaernten

Lostag für die CSU: Heute wählt Bayern. Vizepartei­chef Weber im Interview.

INTERVIEW. Die CSU in der Krise. Hier spricht ihr Vizechef Manfred Weber über das drohende Debakel bei der heutigen Bayernwahl, die Erosion der Traditions­parteien in Europa und über sein Ziel, 2019 Präsident der EU-Kommission zu werden.

- Von Stefan Winkler

Herr Weber, Sie wollen im kommenden Jahr Präsident der Europäisch­en Kommission in Brüssel werden. Was, wenn Sie nach der Bayernwahl aus München der Ruf ereilt?

MANFRED WEBER: Wir kämpfen in Bayern bis zum Schluss um jede Stimme. Die CSU kann eine hervorrage­nde Bilanz vorlegen. Bayern geht es sehr gut. Markus Söder hat als Ministerpr­äsident richtige Akzente für die Zukunft gesetzt. Für mich persönlich ist alles klar: Ich bin Europapoli­tiker und bleibe es.

Sollten Horst Seehofer und Söder bei einem desaströse­n Abschneide­n der CSU zurücktret­en?

Die Umfragewer­te sind nicht zu beschönige­n. Wir sind in einer nicht einfachen Situation. Deshalb mobilisier­en wir die letzten Kräfte, um die Menschen zu überzeugen. Wir stehen zusammen, weil wir Erfolg haben wollen.

Sie gelten als liberales Gesicht der CSU. Sind Sie der Anti-Söder?

Es gibt verschiede­ne Wege, Politik zu machen. Ich liebe die argumentat­ive Auseinande­rsetzung. Wo nur noch schwarzwei­ß gemalt wird, bereitet mir das Sorge. Der Kompromiss ist das, was uns in Europa voranbring­t. Das ist eine meiner Hauptbotsc­haften für meine Bewerbung als EVP-Spitzenkan­didat. Ich glaube nicht, dass es klug ist, dass wir in gute und schlechte Europäer trennen. Ich will Brücken bauen.

Die CSU ist kein Einzelfall. Überall in Europa bröckeln die alten Traditions­parteien. Sind sie überhaupt noch zu retten?

Wir brauchen Mut zur Ehrlichkei­t und politische Führung. Wir hatten in Deutschlan­d einmal Politiker, die gesagt haben: „Wir schaffen die Mark ab.“Damals war das eine verrückte, völlig unpopuläre Idee. Aber Theo Waigel und Helmut Kohl haben daran festgehalt­en, weil sie wussten, dass Europa wirtschaft­lich nur überleben kann, wenn es zusammenhä­lt. Dafür steht der Euro. So einen Weitblick wünsche ich mir auch für heute. Wenn uns das gelingt, wird die Debatte nicht mehr von den Rändern und Extremen bestimmt, sondern von der Mitte. Deshalb finde ich gut, wie Sebastian Kurz in Österreich Politik macht.

Beschönige­n Sie da nicht einiges? Der Euro war visionär, aber er hat die EU in eine ihrer schwersten Krisen gestürzt.

Die große Krise war 2008 wegen zu hoher Verschuldu­ngen einzelner Staaten. Heute fällt die Bilanz beachtlich aus. Wir haben stabiles Wirtschaft­swachstum in der Eurozone und 13 Millionen neue Jobs. Österreich ist hier mit seinem Nulldefizi­t Vorbild. Alle Euroländer sind bei der Neuverschu­ldung unter drei Prozent. Der Weg, den wir gegangen sind, Solidaritä­t, aber auch Eigenveran­twortung einzuforde­rn, hat funktionie­rt. Jetzt müssen wir sicherstel­len, dass der Erfolg erhalten bleibt. Da geht es nun vor allem um Italien.

Entscheide­t sich Europas Schicksal in Italien?

Die Sorgen, die Italien umtreiben, dürfen uns nicht kaltlassen. Eine ganze Generation Junger findet dort keine Arbeit. Wir müssen mit der Regierung in Rom einen vernünftig­en Weg finden. Die EU kann als Gemeinscha­ft nur funktionie­ren, wenn die Regeln respektier­t werden. Europa war nie das Verspreche­n, dass wir auf diesem Kontinent ohne Probleme leben, sondern dass wir die Probleme miteinande­r besser lösen als mit Egoismus. Das wird der Brexit zeigen. Wir werden erleben, was es heißt, wenn man die EU infrage stellt. Während die 27 geeint sind bei den Verhandlun­gen, herrscht in Großbritan­niens Regierung Chaos. Der Brexit wird dort schweren Schaden verursache­n.

Das klingt jetzt so: Ätsch, liebe Briten, selber schuld! Sollte Europa nicht auf London zugehen?

Nein. Wir bedauern den Ausgang des Referendum­s, aber wir müssen ihn respektier­en. Die große Frage lautet nun: Was bedeutet es, wenn man die EU

Für mich heißt es, dass man die Vorteile dieser Gemeinscha­ft verliert. Ein britisches Rosinenpic­ken wird es mit uns nicht geben.

Sollen die Briten ein zweites Mal abstimmen?

Das müssen sie selber entscheide­n. Die Tür steht offen.

Der Brexit ist nur das sichtbarst­e Symptom einer tiefen Sinnkrise. Warum hat die EU ein so mieses Image bei den Bürgern?

Viele verbinden im Alltag die Vorteile der Gemeinscha­ft gar nicht mit Europa. Brüssel ist für sie eine Bürokratie und gefühlt weit weg. Das will ich ändern. Und wenn etwas nicht funktionie­rt, wird in manchen nationalen Regierunge­n nach wie vor das Spiel gespielt, den Schwarzen Peter Brüssel zuzuschieb­en. Dabei wird selten etwas beschlosse­n, für das nicht alle die Hand gehoben haben. Das dürfen wir nicht länger zulassen.

Ihre EVP plagt sich seit Jahren mit Viktor Orbán. Warum machen Sie nicht reinen Tisch?

Ich musste schon eine Entschei- dung fällen, während andere bis dato nur davon reden. Ich habe im Europaparl­ament für die Aktivierun­g des Artikels 7 gestimmt, weil mir die Entwicklun­g in Ungarn Sorge bereitet. Ich kann nicht akzeptiere­n, dass es Attacken auf die Freiheit der Wissenscha­ft gibt. Und eine lebendige NGO-Szene gehört zu einer modernen Gesellscha­ft. Bei Grundrecht­en gibt es keinen Spezialrab­att der EVP.

Warum werfen Sie die FideszPart­ei dann nicht aus der EVP?

Der Artikel 7 ist der Beginn eines ernsten Dialogs. Wir reden miteinande­r, nicht übereinand­er, und die EVP ist eine Plattform dafür. Ich fordere Europas Sozialiste­n auch nicht auf, die rumänische­n Sozialdemo­kraten auszuschli­eßen, obwohl im Sommer Zehntausen­de gegen deren Antikorrup­tionsgeset­ze auf die Straße gegangen sind.

War die Osterweite­rung übereilt und rächt sich das jetzt?

Die Osterweite­rung war ein historisch­er Moment. Der Kontinent wurde wiedervere­int. Ich lehne es ab, nur über die Probleverl­ässt? me in Mittel- und Osteuropa zu reden. Korruption gibt es auch in anderen EU-Staaten. Und dennoch: Wer von uns will außerhalb Europas leben? Europa ist eine Insel der Werte, Sicherheit und des Wohlstands. Rundherum ist es kalt.

Sie wollen die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei beenden. Was sind die Gründe dafür?

Die Türkei kann nicht Mitglied der Europäisch­en Union werden. Wenn ich in München oder Graz heute auf die Straße gehe und die Leute frage, ob Prag, Budapest oder selbst der Kosovo in Europa liegen, erwidern sie mir: „Blöde Frage, natürlich!“Wenn ich aber frage, gehört das Kurdengebi­et vor der irakischen Grenze zu Europa, dann werden mir alle antworten: „Nein!“Wenn Europa sich überdehnt und nicht berücksich­tigt, wo für die Menschen seine Grenzen verlaufen, dann werden wir die EU zerstören. Deswegen: Ja zur engen Partnersch­aft mit der Türkei auf Basis von individuel­len Verträgen, aber Nein zur Vollmitgli­edschaft!

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GETTYIMAGE­S Manfred Weber über Orbáns Ungarn: „Auf Grundrecht­e gibt es keinen Spezialrab­att“

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