Kleine Zeitung Kaernten

Daniel Barenboim im Interview: „Ich bleibe ein Optimist für die Humanität.“

INTERVIEW. Er ist einer der bedeutends­ten Musiker unserer Zeit, dessen Horizont nicht am Bühneneing­ang endet. Der Dirigent, Pianist und Polit-Aktivist Daniel Barenboim (75) im Gespräch.

- Von Martin Gasser

Barenboim spielt Beethoven“. Ein legendärer Zyklus, der auf Video festgehalt­en worden ist, hat Abertausen­de Zuseher an diese Musik herangefüh­rt. Derzeit gibt es „Barenboim spielt Beethoven“auch live – heute beim einzigen Österreich-Konzert in Graz, danach in Prag und in Deutschlan­d. Der Pianist, seit Jahrzehnte­n auch ein Dirigent von Weltrang, ist aber auch ein Philantrop und Politaktiv­ist, der sich seit Langem für eine Aussöhnung zwischen Palästina und Israel stark macht.

Herr Barenboim, Sie sind immer wieder bemüht gewesen, zwischen den Kulturen zu vermitteln. Es hat heute den Anschein, dass man lieber Brücken abreißt, als sie zu bauen. Wie empfinden Sie eine solche Entwicklun­g?

DANIEL BARENBOIM: Das stört mich schon, nicht wegen meiner Arbeit, sondern generell. Der Zustand der Menschheit ist nicht besonders gut, es gibt wenig Kooperatio­n. Und es gibt derzeit eine Reihe von Regierunge­n, die wenig menschenfr­eundlich sind. Aber wissen Sie, in den 1930-Jahren wurde der italienisc­he Philosoph Antonio Gramsci gefragt, ob er Optimist oder Pessimist sei. Er meinte: „Intellektu­ell bin ich Pessimist, weil ich sehe, was auf der Welt passiert. Aber emotional muss ich Optimist bleiben, weil es ja weitergehe­n muss.“So wie Gramsci empfinde ich es auch.

Die klassische Musik steckt voller humanistis­cher Ideale, sollten sich Musiker heute sozial und politisch stärker engagieren, um dies deutlicher zu machen?

Künstler sollten sich besser außerhalb ihres Fachs bilden. Wenn man jung und begabt ist, hat man Ambitionen. Man übt täglich viele Stunden und interessie­rt sich für nichts anderes. Man wird Spezialist, was nichts anderes heißt, als das man sehr viel über einen sehr kleinen Bereich weiß. Aber Musiker zu sein heißt nicht nur, die Fähigkeit zu haben, ein Instrument zu spielen. Es gibt dahinter eine humanistis­che Idee. Das verkümmert immer mehr.

Das klingt nach einer herausford­ernden Sache.

Ja, man muss außerdem auf der einen Seite äußerst bescheiden gegenüber der Musik, gegenüber den Noten bleiben. Diese Bescheiden­heit darf man aber auf keinen Fall auf die Bühne mitnehmen. Das würde überhaupt nicht funktionie­ren! Wenn ich auf die Bühne gehe, ist mir völlig bewusst, dass da Leute gekommen sind, um mich zu hören. Dieser Gedanke ist alles andere als bescheiden. Diese Mischung aus Selbstsich­erheit und Bescheiden­heit ist schwer zu balanciere­n. Weil ohne Ambition schafft es ein Musiker auch nicht. Aber die Ambition muss mindestens zehn Prozent geringer sein als die Begabung. Wenn die Ambition größer ist als die Begabung, funktionie­rt die Kunst nicht.

Haben Sie lange gebraucht, um diese Mischung zu praktizier­en, als Musiker bescheiden zu bleiben, aber zugleich Botschafte­r seiner selbst zu sein?

Ich habe mein erstes Konzert mit sieben Jahren gespielt, da hatte ich natürlich keine dieser Gedanken (lacht), aber ich hatte das Glück, schon sehr jung gemeinsam mit ganz großen Musikern zu musizieren. Bei allen wirklich großen Künstlern habe ich diese Mischung gespürt.

Es ist ein Glück, solche Künstler kennenzule­rnen, aber ist es nicht auch eine Aufgabe der Universitä-

ten, Künstler heranzubil­den, die einen weiten Horizont haben?

Es gibt da ein zweifaches Problem. Neben der Spezialisi­erung der Musiker kommt dazu, dass es keine Musikerzie­hung an den Schulen mehr gibt. Man lernt etwas über Biologie und Mathematik, aber nicht, wie man zuhört. Leute erklären mir oft: ,Aber es kommen doch Tausende, um zuzuhören‘. Aber die Menge ist für mich ein Kriteri- um, sondern es geht darum, was diese Musik einzelnen Menschen bedeutet.

Sie haben unterschie­dliche Staatsbürg­erschaften. Gibt es ein Land, mit dem Sie sich besonders verbunden fühlen?

Nein. Die argentinis­che habe ich, weil ich dort geboren bin. Die israelisch­e, weil ich dort aufgewachs­en bin. Die spanische, weil ich Europäer bin und die palästinen­sische, weil ich mich seit Jahre für die Sache engagiere. Diese Staatsbürg­erschaft ist für mich eine sehr große Ehre.

Sie haben sich stark engagiert, um zwischen Isreal und Palästina zu vermitteln. Haben Sie Verständni­s für die Künstler, die zu einem Boykott Israels aufrufen?

Ich glaube, man muss unterschei­den: Vielen gefällt die Politik der israelisch­en Regierung nicht. Ich würde nie im Leben mit Institutio­nen zusammenar­beiten, welche die israelisch­e Regierung repräsenti­eren. Aber diese Boykott-Bewegung führt dazu, dass man überhaupt keinen Kontakt mit Israelis hat. Das finde ich auch nicht richtig: In Israel gibt es so viele Leute, die überhaupt nicht wie die Regierung denken. Und wenn es eine gemeinsame Zukunft geben soll, darf man den Kontakt zu regierungs­kritischen Personen nicht abreißen lassen.

Eine letzte Frage: Ihr Sohn Michael ist Violinist. Sind Sie manchmal neidisch darauf, dass er so großartig Geige spielt? (lacht laut auf): Wissen Sie, er wurde einmal gefragt, wie es sei, einen berühmten Vater als Musiker zu haben. Er hat geantworte­t: ,Ich weiß nicht, ich habe keine Vergleichs­möglichkei­ten!‘ Und so kann auch ich Ihre Frage beantworte­n.

Aber es muss Sie mit Stolz erfüllen!

Ja, das tut es. Und mit ihm in unserem gemeinsame­n Klaviertri­o zu spielen, ist derzeit meine größte Freude.

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AFP Der Musiker Daniel Barenboim: Optimist wider besseren Wissens
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