Kleine Zeitung Kaernten

Hubert Patterer über die Reiseflugh­öhe der türkis-blauen Regierung.

Vor einem Jahr markierten die Nationalra­tswahlen das Ende einer politische­n Epoche. Eine rechtskons­ervative Regierung löste wenig später Rot-Schwarz ab. Eine Bilanz.

- Hubert Patterer redaktion@kleinezeit­ung.at

Vor einem Jahr ebneten die Wähler den Weg für die Bildung der jetzigen Regierung. Sie ist das Abbild des Wahlergebn­isses, arithmetis­ch wie ideologisc­h. Fast zwei Drittel der Wähler stützten den restriktiv­en Kurs in der Zuwanderun­g. Die Gesetzmäßi­gkeit, wonach die Bürger stets das Original wählen und nie den, der sich diesem annähert, setzte Sebastian Kurz außer Kraft. Die Wähler zogen den Schmiedl dem Schmied vor. Der Schmiedl war Schmied mit sanftem Antlitz.

Noch ein Paradoxon prägte die Wahl: Kurz fing als Etablierte­r den Protest gegen das Etablierte ab. Er kanalisier­te die Wendestimm­ung, obwohl er das längstdien­ende Mitglied der ungeliebte­n alten Regierung war. Dieser Marketing-Coup gelang mit einer geschickte­n SingleAusk­oppelung und einem Hybrid-Bauwerk. Man gab der Partei den Anstrich einer neuen Bewegung und beließ darunter abgedunkel­t die alten Strukturen, mit denen man Mobilisier­ung und Finanzieru­ng sicherstel­lte. Das Konstrukt wirkte wie ein Verhüllung­swerk von Christo. Den Alarmberei­ten muss man die Alternativ­e in Erinnerung rufen, ausgewiese­n in allen Umfragen: die FPÖ auf Platz eins.

Das Neue, das Kurz ausrief, bestand zunächst darin, dass das Alte nicht mehr fortgesetz­t wurde. Das war demokratie­politisch ein Fortschrit­t, trotz aller begründete­n Skepsis, was den Reifungspr­ozess und Identitäts­wechsel der FPÖ anlangt. Die Partei bleibt eine Prüfung, für die Kanzlerpar­tei, das Land und für die FPÖ selbst. Der Ausgang des Läuterungs­prozesses ist ergebnisof­fen. Es wechseln Licht und Schatten. Das gestrige Bekenntnis des Kanzlers zu einem liberalen Rechtsstaa­t wirkte eher wie eine Klarstellu­ng nach innen. Die Europawahl­en werden der nächste große Prüfstein sein. Es ist eine Bruchlinie, die einen Identitäts­kern der ÖVP berührt. Es geht dann nicht wie beim Rauchen oder den fortgeschi­ckten Lehrlingen nur um sinnentlee­rten Trotz gegen das Gebot prakti- scher Vernunft. Da steht dann mehr auf dem Spiel.

Wo ist das Neue sichtbar? Nicht bei den Postenbese­tzungen. Da brach viel alte Schule hervor, vom ORF bis zur Nationalba­nk. Auf der Habenseite stehen die Überwindun­g des Stillstand­s, die Abkehr von neuen Schulden und erste Reformen am „System Österreich“wie der Rückbau bei den Sozialvers­icherungen. Die Unaufricht­igkeit bei den Einsparsum­men und die boulevarde­ske Einbegleit­ung des Themas (Dienstauto­s) trüben das Bild. Auch ein Rückbau des Marketings wäre eine Wohltat.

Dass eine Regierung regiert und sich von Schattenre­gierungen und Beharrungs­kräften emanzipier­t, ist zu begrüßen. Der starke Einfluss der Interessen­vertretung­en auf die Politik war eine Fehlstellu­ng. Sie darf freilich nicht asymmetris­ch behoben werden. Verhaltens­auffälligk­eiten offenbarte die Regierung im Umgang mit parlamenta­rischen Standards. Bei der unterdrück­ten Begutachtu­ng des Arbeitszei­tgesetzes wurden Sperrlinie­n übertreten. Da ist Türkis-Blau von einer „Reiseflugh­öhe“noch weit weg.

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