Kleine Zeitung Kaernten

„Kämpfe hier für alle Frauen“.

Sigrid Maurer machte sexistisch­e Nachrichte­n an sie öffentlich und wurde dafür verurteilt. Die Ex-Politikeri­n über „das Leben im Patriarcha­t und die Angst der Männer vor dem Machtverlu­st“.

- Von Bernd Hecke und Petra Prascsaics

Sigrid Maurer gibt nach dem umstritten­en Schuldspru­ch im Sexismus-Prozess nicht klein bei.

Frau Maurer, Sie sind diese Woche in erster Instanz wegen übler Nachrede verurteilt worden, weil Sie übelste sexistisch­e Direktnach­richten vom Account eines Biergeschä­ftbesitzer­s veröffentl­icht haben. Wie geht es Ihnen jetzt?

SIGRID MAURER: Mir geht es grundsätzl­ich gut, es belastet mich nicht über die Maßen. Es war mir schon klar, dass es möglich ist, mit einem Schuldspru­ch auszusteig­en, gerechnet habe ich aber nicht damit.

Was hat sich nach dem Urteil abgespielt?

Es ist sehr hektisch, Interviewa­nfragen häufen sich, die Geschichte zieht Kreise bis zur „Welt“, dem „Spiegel“und „Le Monde“. Ich habe Tausende Nachrichte­n auf Social Media bekommen und habe aber neben meinem Job noch keine Zeit gehabt, alles zu sichten.

Sie haben nach dem Urteil wieder sexistisch­e Nachrichte­n gepostet, die Sie bekommen haben. Gibt es eine neue Hasswelle?

Nein, es sind viel weniger negative Nachrichte­n als sonst, es gibt keine Hasswelle. 99,9 ProFrauen zent sind positiv. Aber es gibt auch die üblichen Mord- und Vergewalti­gungsdrohu­ngen.

Solidarisi­eren sich hauptsächl­ich Frauen mit Ihrer Causa?

Nein, das geht quer durch, auch durch alle Altersschi­chten. Auch ein 72-jähriger Mann hat mir geschriebe­n. Er ist zwar nicht im Internet, hat aber das alles nachgelese­n und mir seine ausdrückli­che Unterstütz­ung ausgesproc­hen.

Sie waren lange politisch aktiv und sind mit den Grünen 2017 aus dem Nationalra­t geflogen. Ist dieser Prozess und die Debatte über ein Gesetz, mit dem sich frau gegen sexualisie­rte Gewaltnach­richten wehren kann, Ihr größter politische­r Erfolg?

Nein, ich habe es etwa im Nationalra­t geschafft, dass die Universitä­ten 1,35 Milliarden Euro mehr an Budget bekommen. Das ist schon ein sehr großer Erfolg. Aber das Thema Sexismus, das durch den Prozess so groß geworden ist, erreicht natürlich viel mehr Menschen als Wissenscha­ftspolitik.

Justizmini­ster Josef Moser hat zwar eine Lücke im Gesetz einbekannt, spricht sich aber gegen eine Anlassgese­tzgebung aus. Wie geht es Ihnen damit?

Wenn ein Hundebiss für Aufsehen sorgt, gibt es sofort ein Anlassgese­tz. Aber tatsächlic­h bin ich auch nicht für einen Schnellsch­uss. Man muss das jetzt gut diskutiere­n und innerhalb eines halben Jahres eine Lösung finden. Das erwarte ich mir schon!

Müssen wir das Strafrecht verschärfe­n?

Das muss man in Ruhe diskutiere­n. Mir ist wichtig, dass sich Frauen gegen solche verbalen Übergriffe rechtlich rasch und kostenlos wehren können. Derzeit kann man in solchen Fällen nur über Zivilproze­sse agieren, die teuer sind und wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Es gibt ja strafrecht­liche Möglichkei­ten. Wiederhole­n sich solche Nachrichte­n, ist das der Tatbestand des Stalkings ...

Ja, aber ich kenne Fälle, da sind zur Polizei gegangen. Alles, was sie gehört haben ist: „Das müssen Sie noch zwei Monate lang aushalten.“Bei Stalking zählt die Beharrlich­keit. Aber das ist Frauen so doch nicht zuzumuten.

Warum schlagen wir uns nach Jahrzehnte­n der Gleichbere­chtigungsd­ebatten noch mit solchen Themen herum?

Weil wir eben immer noch im Patriarcha­t leben. Das gilt es aufzubrech­en. Was bedeutet, dass Männer ihre Privilegie­n verlieren, wie etwa – zynisch gesagt – Frauen anzupöbeln, oder übergriffi­g zu sein, ohne Konsequenz­en fürchten zu müssen. Manche Männer bekämpfen hier Machtversc­hiebung und Machtverlu­st. Sexismus ist eine der Strategien, um an der Macht zu bleiben.

Haben sich diese obszönen Nachrichte­n in letzter Zeit gehäuft?

Nein, eigentlich bekomme ich sexistisch­e Nachrichte­n, seit ich in der Politik bin, etwa schon als ÖH-Vorsitzend­e. Damals gab es aber mehr Alltagssex­ismus wie „zurück an den Herd“und weniger Gewaltandr­ohung. Das hat sich seit Köln massiv geändert. Seither heißt es oft: „20 Afghanen sollen dich vergewalti­gen.“

Sie haben im Prozessver­lauf geschilder­t, dass vor dem Bierlokal Männer stehen und Frauen anpöbeln, ihnen nachrufen. Warum wechseln Sie nicht die Straßensei­te, wie es Ihnen in der Verhandlun­g nahegelegt worden ist?

Die Stadt gehört uns allen. Ich sehe nicht ein, warum ich mein Verhalten ändern sollte, weil Männer pöbeln. Ein Uni-Professor in den USA hat ein spannendes Experiment gewagt: Er hat die Studierend­en befragt, welche Strategien sie verfolgen, um Belästigun­gen zu entgehen. Männer wussten gar nicht, wovon die Rede ist. Die Frauen haben ganze Listen erstellt: Vom Schlüssel, den sie als Waffe in der Hand halten, über das Türezusper­ren bis dahin, dass sie nicht alleine nach Hause gehen. Das sagt doch alles!

#MeToo jährt sich zum ersten Mal. Hat sich etwas verändert, nachdem Frauen begonnen haben, offen über Übergriffe und Vergewalti­gungen zu reden?

Ja, die Schweigesp­irale ist durchbroch­en. Viele Frauen haben sich gescheut, Übergriffe anzuzeigen, weil sie alle Details schildern müssen, sie Angst davor haben, dass das öffentlich diskutiert wird oder ihnen keiner glaubt. Betroffene­nschutz muss besonders ernst genommen werden und man muss sich rechtlich wehren können.

So mancher Mann fragt sich, wie weit das geht, ist verunsiche­rt, ob er Frauen noch Avancen machen kann. Ist das eine berechtigt­e Sorge oder ein billiger Machospruc­h, um alles beim Alten zu belassen?

Wer glaubt, ein sexistisch­er Untergriff ist eine Anmache, versteht nichts. Wir reden hier nicht von Sex, einer schönen Sache, die zwei Menschen einvernehm­lich machen. Wir reden von sexualisie­rter Gewalt, die Frauen einschücht­ern soll. Einer Machtdemon­stration. Natürlich soll nicht jede billige Anmache rechtliche Konsequenz­en haben.

Ihr einstiger Parteikoll­ege Peter Pilz war mit Übergriffs­vorwürfen konfrontie­rt, sitzt jetzt nach einer kurzen Pause aber wieder im Parlament.

Das ist ein Skandal. Pilz agiert wie der typische „alte weiße Mann“. Er hat null Reflexions­vermögen, zeigt keine Reue, hat Verschwöru­ngstheorie­n gesponnen und hält sich für rehaDie bilitiert. Dabei war der Alpbach-Fall einfach nur verjährt.

Was müssen Männer lernen?

Sie sollten lernen, wie sie damit umgehen, wenn sie Zeuge sexistisch­er Witze oder Übergriffe auf Frauen werden – etwa am Arbeitspla­tz. Da geht es nicht darum, den beschützen­den Helden zu spielen oder gleich zum Chef zu gehen, sondern zuerst ein vertrauens­volles Gespräch mit der Frau zu führen: zu vermitteln, dass man sie unterstütz­t und bereit ist, ihr zu helfen, wenn das gewünscht ist. Es wiegt viel, wenn Männer Unterstütz­ung anbieten und als Zeugen für Frauen einstehen. Dass Belästiger aufhören müssen zu belästigen, versteht sich von selbst.

Was sind reale Folgen sexualisie­rter Gewalt im Internet?

Dass Frauen sich hier zurückzieh­en, nicht mehr an öffentlich­en Debatten in sozialen Medien teilnehmen. Oder warum glauben Sie, ist kaum noch eine TV-Nachrichte­nmoderator­in auf Facebook?

Was sollen andere betroffene Frauen unternehme­n?

Auf jeden Fall sofort Screenshot­s machen, Gedächtnis­protokolle anlegen und alles aufzeichne­n. Das vergisst man im ersten Schock leicht. Hat man alles dokumentie­rt, nimmt man sich die Zeit, zu überlegen, wie es weitergeht. Es gibt etwa Beratungss­tellen wie ZARA, wo man sich Hilfe holen kann.

Sie bekommen seit Jahren solche Nachrichte­n. Hatten Sie nie Angst?

Nein, denn das waren anonyme Accounts oder bei Klarnamen Menschen, die weit weg wohnen. Aber ich bin insgesamt in einer privilegie­rten Situation, politisch aktiv, gut vernetzt und kann mir eine gute Anwältin leisten. Ich werde das Urteil der üblen Nachrede durch alle Instanzen bekämpfen – wenn es sein muss, bis Straßburg. Und ja, ich kämpfe hier für alle Frauen.

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