Die Barbaren in China waren die Christen
Stephan Thome erzählt in seinem Historienepos von spitzen Nasen, langen Zöpfen und dem Gott aus dem Westen.
Wer Stephan Thomes für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominierten Romane „Grenzgang“und „Fliehkräfte“noch im Kopf hat, muss umdenken. Denn der Themenwechsel ist radikal. Doch auch der vierte Roman des deutschen Autors landete heuer wieder auf der Shortlist und lohnt die Lektüre. Stammten die Vorgängerbücher mitten aus der Gegenwart deutscher Befindlichkeiten, so ist der „Gott der Barbaren“ein komplexer Historienroman, der im China
des 19. Jahrhunderts spielt. Christliche Fundamentalisten führten damals eine Bauernrebellion im Kaiserreich an, die als „Taiping-Aufstand“mit mehr als 20 Millionen Toten in die Geschichte einging.
Der Sinologe und Philosoph Thome rollt anhand von drei Hauptfiguren, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird, ein buntes Epochenpanorama auf, das detailgenau und spannend eine uns meist fremde Welt eröffnet.
Der junge Deutsche Philipp Johann Neukamp, Revolutionär von 1848, reist für eine Missionsgesellschaft nach China und erlebt dabei einen Kulturschock im Stil klassischer Abenteuerliteratur à la Karl May: „Sie blickten auf unsere spitzen Nasen wie wir auf ihre Zöpfe, wir hielten sie für unterwürfig und verschlagen, sie uns für herrschsüchtig und gierig, und im Grund ihres Herzens verstanden sie nicht, was wir von ihnen wollten.“Neben dem fiktiven Missionar stehen sich im Roman zwei historische Figuren gegenüber. Mehr Alter Ego als Gegenspieler für den Briten Lord Elgin, Sonderbotschafter der britischen Krone, ist der Chinese Zeng Guofan, der den Kampf gegen die Aufständischen anführt.
Zahllose weitere Figuren, Handlungsstränge und Perspektiven fordern die volle Aufmerksamkeit des Lesers, der von der ersten Seite an in eine exotisch-sinnliche Atmosphäre zwischen Orient und Okzident eintaucht. Parallelen zu Konflikten der Gegenwart ergeben sich unangestrengt. Wer Daniel Kehlmanns „Tyll“und Franzobels „Floß der Medusa“gerne gelesen hat, wird auch von Stephan Thomes China-Wälzer begeistert sein. Stephan Thome. Gott der Barbaren. Suhrkamp, 719 S., 25,70 Euro.