Warnsignale aus allen Richtungen
Wenn heute Abend beim EU-Gipfel in Brüssel der Brexit diskutiert wird, dann muss Theresa May deutlich konkreter sein als in Salzburg.
Ein zweites Salzburg – das wollen die Staatsund Regierungschefs ganz sicher nicht, wenn sie sich heute Abend in Brüssel zum Oktober-Gipfel treffen. In Salzburg hatten die Gespräche zum Brexit zwar in gelösterer Atmosphäre als davor stattgefunden, Theresa May blieb bei ihrem Statement allerdings Vorschläge schuldig, die für die Rest-EU akzeptabel gewesen wären, was die Sache nicht weiterbrachte, in England aber wütende Attacken der Boulevardpresse gegen die Union auslöste. May ist auch heute zum Beginn des Abendessens eingeladen, um noch einmal Verhandlungspositionen auf den Tisch zu legen – dann muss sie das Bankett aber verlassen und die EU-27 bleiben mit dem Problem zurück.
Ratspräsident Donald Tusk hatte in seinem Einladungsbrief zum Gipfel den Briten schon am Montag einen Schuss vor den Bug verpasst, der wegen der klaren Worte sofort für wilde Spekulationen sorgte: „Ein Scheitern der Gespräche ist wahrscheinlicher denn je“, hatte er es formuliert, bloß um zu ergänzen, man müsse auch weiterhin alles für ein bestmögliches Abkommen versuchen. Gestern setzte er nach und sagte, er erwarte sich von May „konkrete Vorschläge, wie wir aus der Sackgasse kommen.“Für den Durchbruch, auf den alle warten, seien „neue Fakten“nötig. Längst ist klar – und war auch nie geleugnet worden –, dass sich Brüssel auf den dramatischen Fall eines „No Deal“minutiös vorbereitet, was wegen der unabsehbaren Folgen nach dem 29. März 2019 ohnehin ein Gebot der Stunde ist.
Ratsvorsitzender Sebastian Kurz hatte daraufhin, wie berichtet, die Optimismuskeule ausgepackt und bei seinem Besuch bei Amtskollege Mark Rutte in Den Haag ausdrücklich gesagt, dass die Nordirlandfrage, um die sich (fast) alles dreht, „jedenfalls lösbar“ sei. So weit wollte sich EUMinister Gernot Blümel gestern beim Brexit-Rat in Luxemburg nicht hinauswagen. Es sei noch zu früh, um etwas über neue Ergebnisse zu sagen. Blümel sieht nicht einmal die Voraussetzungen für den im November angedachten Sondergipfel gegeben; allerdings gibt es keine weiteren Möglichkeiten, einen Kompromiss zu finden, selbst wenn Sebastian Kurz sagt, „ein paar Wochen mehr Verhandlungszeit“seien nicht entscheidend, wenn man damit den „harten Brexit“verhindern könne.
EU-Chefverhandler Michel Barnier spricht vom Dezember als „endgültiger Deadline“wegen der nötigen Ratifizierungen. Über eine neue Möglichkeit des Entgegenkommens berichtet die FAZ: Die EU habe den Briten angeboten, länger als geplant im Binnenmarkt und in der Zollunion bleiben zu können, also die Übergangsperiode zu verlängern.
Und so zeichnet sich ab, dass auch dieser Gipfel ohne konkrete Entscheidung vorübergehen wird. Was Angela Merkel als „Quadratur des Kreises“bezeichnet, umschreibt Donald Tusk so: „Ich sehe einen neuen gordischen Knoten. Aber keinen Alexander, der ihn
durchschlägt.“