Kleine Zeitung Kaernten

Nach Europa“

INTERVIEW. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen besucht heute und morgen Serbien. Vor dem Treffen der Amtskolleg­en baten wir Serbiens Präsident Aleksandar Vuˇci´c zum Interview.

- Von Christian Wehrschütz, Belgrad

Als Lösung für den Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo wurde in den vergangene­n Monaten vielfach über einen Gebietstau­sch, eine Grenzänder­ung spekuliert. Klar dagegen sind Deutschlan­d und Großbritan­nien. Gibt es konkrete Vorschläge, wie eine derartige Grenzänder­ung aussehen könnte?

Wenn man von einer Festlegung der Grenze spricht, die in einzelnen europäisch­en Kreisen scharf verurteilt wurde, dann stelle ich nur fest, dass wir wissen wollen, wo die Grenzen zwischen Belgrad und Prishtina liegen. Denn wo ist heute diese Grenze? Dort, wo sie Berlin und Wien sehen, oder dort, wo sie Madrid und Athen sehen, dort, wo sie Washington sieht, oder dort, wo die Grenze für Peking, Rom oder Moskau liegt. Stellt man die Frage so, dann wird völlig klar, dass man eine Kompromiss­lösung braucht. Ich halte es für völlig falsch, wenn jeder in seiner Hauptstadt den Kopf in den Sand steckt und sagt, wir haben unsere Position und damit basta. Ich glaube, dass man ein breites Feld zulassen muss für Gespräche vor allem zwischen Serben und Albanern, die an einer Lösung interessie­rt sind. Sollten wir je dazu kommen, denn wir sind derzeit sehr weit davon entfernt, so sollte man das unterstütz­en. Vor 30 und 20 Jahren hat man Grenzen geändert und jetzt stört es, wenn je- mand sagt, lasst uns die Grenzen festlegen. Lasst uns diese Grenze ziehen, damit wir Frieden und Stabilität die nächsten hundert Jahre haben.

Zweifellos gibt es informelle Gespräche zur Lösung des Kosovo-Konflikts. Worüber wird da gesprochen, auch über die Grenzfrage, aber wahrschein­lich auch über viele andere Fragen?

In informelle­n Gesprächen sprechen wir über alles, jeder präsentier­t seine Ideen. In informelle­n Gesprächen redet man über die Zukunft, bleibt man nicht in der Vergangenh­eit, spricht darüber, was erreicht werden muss. Denn viel wichtiger als die Grenze ist ein Gesamtpake­t. Dazu zählen der europäisch­e Weg Serbiens, die Sicherheit der Bewohner im Kosovo, die Fragen des Eigentums, der Rückkehr von Flüchtling­en und Vertrieben­en, der serbischen Firmen, der Schulen und Krankenhäu­ser, der Klöster. Das sind viele Fragen, die es zu lösen gilt, ehe wir zur Frage der Grenze kommen. Ich fürchte, dass heute nur wenige Personen in der Region und weltweit irgendetwa­s lösen wollen. Alle warten auf bessere Zeiten, die aber nicht kommen werden, das ist nur eine Ausrede und eine Rechtferti­gung für Untätigkei­t. Das ist am leichteste­n, doch ich bin gegen leichte Lösungen.

Wie bewerten Sie generell den Dialog zwischen Belgrad und Prishtina unter Federführu­ng der EU? Die Gespräche dauern bereits fünf Jahre, mehr als ein Jahr gibt es praktisch keine Fortschrit­te. Am leichteste­n ist es zu sagen, dass die Gespräche nichts gebracht haben. Doch in den fünf Jahren haben wir, von vereinzelt­en Zwischenfä­llen abgesehen, Frieden und Stabilität bewahren können. Das ist das wichtigste Ergebnis auch für alle, die im Kosovo leben, für die Serben und die Albaner. Verhandlun­gen sind die einzige Option, eine andere gibt es nicht. Dazu zählt auch das Bestreben, Verständni­s für unsere Position bei der EU und den anderen Großmächte­n zu finden.

Der Status quo im Verhältnis zwischen Belgrad und Prishtina ist für Sie somit keine Option? Der Status quo ist eine große Gefahr für uns alle. Ich bin absolut gegen einen eingefrore­nen Konflikt; daher ist es besser, dass wir auch noch die nächsten zehn Jahre weiterverh­andeln wenn nötig – denn einmal wird eine Vereinbaru­ng erzielt werden –, als dass wir auf bessere Zeiten warten, denn ein eingefrore­ner Konflikt wird zu nichts Gutem führen.

Wie wirkt sich die Krise in der EU auf den Westbalkan aus? Jede Instabilit­ät, jeder Streit, Konflikte auch nach dem Brexit, die sich in der EU ereignen, vermindern die Anziehungs­kraft der EU für uns alle am Balkan. Denn die Menschen sagen, wenn ihr derart untereinan­der streitet, was ist das denn für eine Botschaft für uns. Alle Staaten des Westbalkan­s befinden sich auf dem Weg nach Europa, doch eine Begeisteru­ng gibt es nicht mehr. Das zeigt eine gewisse Skepsis, die heute am Westbalkan vorherrsch­t, doch wir, die wir unsere Länder führen, müssen im Interesse der Völker rational und seriös sein und daher wissen, wie und warum der europäisch­e Weg wichtig ist für alle Staaten des Westbalkan­s.

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WEHRSCHÜTZ „Alle Staaten des Westbalkan­s befinden sich auf dem Weg nach Europa, doch Begeisteru­ng gibt es nicht mehr“, sagt Aleksandar Vucˇic´ im Interview mit Christian Wehrschütz in Belgrad

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