Kleine Zeitung Kaernten

Reinhold Messner am Tag der Südtiroler Wahl über Heimat, Pass und Dolomiten.

Heute wählt Südtirol seinen Landtag. Hier erzählt Reinhold Messner von seinem ersten Berg, der bedrohten Schönheit der Dolomiten und davon, wie das Land seinen Weg nach Europa fand.

- Von Stefan Winkler

Herr Messner, wir treffen uns vor der herrlichen Kulisse der Sextener Dolomiten. Kann so viel Schönheit manchmal nicht einfach zu viel sein?

REINHOLD MESSNER: Für mich nicht. Für mich sind die Dolomiten nie erdrückend. Sie leben von dieser einzigarti­gen Spannung: unten, horizontal hingestreu­t, das liebliche Grün der Almwiesen und darüber, vertikal gestellt, die menschenab­weisenden, schroffen Berge. Das ist ein Landschaft­sbild, das es nur bei uns in Südtirol gibt.

Die Schönheit ergibt sich aus dem Kontrast der Gegensätze.

Aus ihrer Summe. Wir haben in Südtirol zum Glück noch eine intakte, kleinräumi­ge alpine Kulturland­schaft. Einst war hier alles bewaldet. Vor 8000 Jahren hat der Mensch dann begonnen, das Land in Besitz zu nehmen. Er hat die Wälder gerodet und ist langsam in die Höhe gestiegen, um die Almen zu beweiden. Heute ist das ein großer Schatz.

Aber die Intaktheit ist bedroht.

Wir haben auch in Südtirol Plätze, wo der Massentour­ismus überhandni­mmt. Wenn Sie an einem schönen Augusttag um die Drei Zinnen wandern, geht es schlimmer zu als in der Kaufingers­traße in München: Hektik, Chaos, Lärm, Aggression. Dazu kommt die Bautätigke­it. In Südtirol versucht man, den Wildwuchs einzudämme­n. Schon früh in den Sechzigeru­nd Siebzigerj­ahren hat die Landesregi­erung von Silvius Magnago Wert darauf gelegt, dass nicht die ganze Landschaft verstellt wird. Man hat die brutale Holz-vor-der-Hütte-Architektu­r nicht zugelassen. In Österreich ist das viel schlimmer.

Woher dieses frühe Sensorium?

Die Autonomie gibt uns viele Möglichkei­ten. Aber sie ist nichts Statisches, sondern ein Prozess. Durch unsere Geschichte waren wir gezwungen, ganz langsam zu unseren Errungensc­haften zu gelangen. 1918 wurde Südtirol als Kriegsbeut­e Italien zugeschlag­en, es folgten Faschismus, Zwangsital­ianisierun­g und unsere Erbsünde, die Option. Auch meine Eltern wollten ins Deutsche Reich auswandern. Wir waren staatenlos nach dem Krieg. Selbst der wirtschaft­liche Erfolg stellte sich viel später ein als anderswo. In den Fünfzigern waren wir die ärmste Provinz von Italien. Heute sind wir die reichste. Vor allem Landeshaup­tmann Luis Durnwalder hat das Land wohlhabend gemacht, weil er die Autonomie mit wirtschaft­lichen Inhalten gefüllt hat.

Was war Ihr erster Berg?

Der Sass Rigais. 1949. Ich war fünf Jahre alt. Das ist lange her.

Woran erinnern Sie sich?

Dass mein Vater beim Raufgehen die Zigaretten in einem Baumstrunk versteckt hat. Er hat sie oben am Berg nicht gebraucht. Der größte Eindruck aber war, als ich auf die Alm zurückgeko­mmen bin, von wo wir los sind. Zum Berg aufzublick­en und zu sagen, da war ich oben, diesen Moment werde ich nie

Der Berg war riesengroß für mich kleines Kind. Ich konnte es selber nicht glauben.

Was macht der Berg mit einem?

Man kann Maß nehmen. Gemessen wird aber nicht in Höhenmeter­n oder Gehstunden, die Maßeinheit sind die Müdigkeit, die Hoffnungen und Ängste, also alles, was man durchmacht, wenn

man einen Berg besteigt. Und wenn man oben steht, erkennt man, dass die Welt viel größer ist als im engen Tal, aus dem man kommt, und der Horizont viel weiter. Bei mir zu Hause in Villnöß brauchte ein Flugzeug eine Minute, um das Tal zu überfliege­n und zu verschwind­en. Als Kind habe ich mich immer gefragt, was wohl dahinter ist.

Die Spannung zwischen Enge und Weite hat Sie Ihr Leben lang begleitet. Sie könnten leben, wo Sie wollen. Warum sind Sie immer wieder hierher zurückgeke­hrt?

Ich bin Südtiroler, bin hier aufgewachs­en. Später dann bin ich auf die Oberschule und die Universitä­t. Aber das meiste, was ich kann, habe ich in diesen Tälern gelernt. Meine Eltern und Großeltern liegen hier begraben. Ich weiß viel von ihrem Leben und von dem meiner Vorfahren. Es ist das Land, für das ich Verantwort­ung mittrage.

Warum so verhalten? Warum sagen Sie nicht einfach, ich lebe in Südtirol, weil es meine Heimat ist?

Weil der Begriff Heimat gerade bei uns so missbrauch­t worden ist. Kein Südtiroler kann nach der Option locker von Heimatverg­essen. liebe sprechen. Als wir nämlich die Gelegenhei­t hatten, diese Liebe zu beweisen, haben wir unsere Heimat billig hergeschen­kt. 86 Prozent waren 1939 bereit, nach Hitlerdeut­schland auszuwande­rn. Wäre nicht der Krieg gekommen, gäbe es Südtirol gar nicht mehr. Meine Mutter hat später eingesehen, dass das ein Fehler war. Sie wollte das korrigiere­n. Mein Vater nicht.

Wie wollte Ihre Mutter Ihren Irrtum berichtige­n?

Sie hat uns als Kinder viel auf Wanderunge­n mitgenomme­n. Eines Tages sind wir zum steilsten Bauernhof von Villnöß gekommen. Da hat sie zu uns gesagt: Dieser Bauer ist nicht weggegange­n. Immer wieder kamen Propagandi­sten auf den Hof und lockten ihn: Du kriegst im Reich einen Hof im Flachland. Der ist viel mehr wert und die Arbeit ist viel leichter. Aber der Bauer blieb standhaft: Ich gehe nur weg, wenn ich den gleich steilen Hof bekomme mit den gleichen Bergen als Kulisse, hat er gesagt. Mit seiner Geschichte wollte meine Mutter uns Kindern sagen: Heimat ist nicht der bessere Boden. Sie ist das Dasein, Immerdagew­esensein und die Verantwort­ung für das Land, das einem gehört, und die einmalige Landschaft. Beides darf man nicht einfach so herschenke­n.

Wie präsent sind diese Dinge heute eigentlich noch in Südtirol?

Ich glaube, dass die Südtiroler immer noch gern hereinfall­en auf völkisches Gedankengu­t. Es gibt da zum Teil noch ein falsches Geschichts­bewusstsei­n, das aus mangelhaft­er historisch­er Kenntnis herrührt. Die Leute machen sich etwas vor. Natürlich haben die Südtiroler viel gelitten, meine Großeltern und Eltern haben noch die Katakomben­schulen miterlebt. Aber die Italiener, die heute in Südtirol leben, sind genauso Südtiroler. Dieses Recht dürfen wir ihnen nicht absprechen. Sonst sind wir gleich wie Mussolinis Faschisten, die uns das Deutschtum rauben wollten. Das ist ja auch das Problem, das ich mit dem Doppelpass habe.

Was ist Ihr Problem damit?

Der Doppelpass wäre kein Problem, wenn er allen Südtiroler­n angeboten würde und sogar den Trentinern, die im Ersten Weltkrieg für Österreich-Ungarn gekämpft haben und zu ich weiß nicht wie vielen Tausenden für den Kaiser gefallen sind. Man kann nicht hergehen und sagen, nur Deutschspr­achige und Ladiner bekommen die Staatsbürg­erschaft, die in Südtirol lebenden Italiener dagegen nicht.

Werden Sie einen beantragen?

Nein, ich glaube auch nicht, dass der Doppelpass kommt. Die Römer werden auf die Barrikaden steigen. Salvini wird alles tun, um ihn zu verhindern. Er ist kein Faschist. Das ist übertriebe­n. Aber Zentralist, was bizarr ist, da die Lega als Fliehkraft­partei entstanden ist, die für die Lombardei und Veneto nahezu Eigenständ­igkeit wollte. Aber jetzt, da die Lega regiert, heißt es: Prima gli italiani! Zuerst die Italiener! Alle Ausländer raus! Die sollen im Meer ersaufen.

Ist der Doppelpass das Relikt einer Welt von gestern?

Wir in Südtirol sind weiter. Wir haben mehrere Kulturen verinnerli­cht. In meiner Kindheit war das noch ganz anders. Da gab es richtige Bandenkrie­ge. Wir waren für die Italiener die Crucchi, sie für uns die Walschen. Und Walsch, Italienisc­h, hat man nicht gelernt. Heute bin ich stolz darauf, dass ich es kann. Es ist Teil meines Erfolgs. Ja, ganz Südtirol steht deshalb so hervorrage­nd da, weil es das Kettenglie­d ist zwischen deutschem Norden und romanische­m Süden. Das Leid der Vergangenh­eit hat sich zum Vorteil verkehrt. Wir Südtiroler sind heute bestens vorbereite­t auf ein gemeinsame­s Europa, weil wir längst Europäer sind.

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