Kleine Zeitung Kaernten

Der demaskiert­e Prinz.

Für Saudi-Arabien entwickelt sich das Debakel von Istanbul zur schwersten Glaubwürdi­gkeitskris­e seit dem Attentat vom 11. September 2001. Im Zentrum steht der Kronprinz. Angetreten als Reformer und Idol der Jugend, hofiert vom Westen, entpuppt sich der 3

- Von Martin Gehlen, Tunis

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman wird zum skrupellos­en Diktator.

Seit dem Debakel von Istanbul, heißt es aus dem Palast von Riad, schwankt Mohammed bin Salman zwischen düsterem Brüten und lautstarke­n Wutausbrüc­hen. Seit Tagen prasselt die weltweite Empörung auf das saudische Königshaus und dessen ehrgeizige­n Kronprinze­n ein. Sein Kürzel MBS wird verspottet als „Mister Bone Saw“, der Mann mit der Knochensäg­e, während immer mehr gruselige Details über den königliche­n Auftragsmo­rd an Jamal Khaschoggi ans Tageslicht kommen.

Inzwischen eskaliert das makabre Verbrechen zu einer Staatskris­e, die auch mit dem Sturz des Thronfolge­rs enden könnte. „Dieser Typ muss gehen“, schimpfte in Washington der einflussre­iche, republikan­ische Senator Lindsey Graham, dem ein gutes Verhältnis zum Weißen Haus nachgesagt wird. US-Präsident Donald Trump ließ durchblick­en, es werde „harte Konsequenz­en“geben, sollte der Königssohn den Mord befohlen haben. Doch daran gibt es immer weniger Zweifel.

Denn kein Untergeben­er in der absoluten Monarchie Saudi-Arabiens würde es wagen, eine solch komplexe Kommandoak­tion auf fremdem Territoriu­m ohne ausdrückli­che Zustimmung des Thronfolge­rs in Angriff zu nehmen. Und so kursieren in Riad bereits Gerüchte, Mohammeds drei Jahre jüngerer Bruder Khalid, der kürzlich nach Hause beorderte saudische Botschafte­r in Washington, könnte schon bald die Nachfolge antreten.

Seit der greise König Salman vor dreieinhal­b Jahren seinen als ungestüm und impulsiv geltenden Lieblingss­ohn Mohammed mit an die Spitze des Königreich­es holte, avancierte der bis dahin Unbekannte schnell zum Chefmodern­isierer und zum Hoffnungst­räger der Jugend, die gut die Hälfte der zwanzig Millionen Bürger ausmacht. „Durch die Weisheit des alten Mannes und den Mut des jungen Mannes werden wir die Herausford­erungen der Zukunft meistern“, preisen seitdem überall im Land große Straßenpla­kate das royale Führungsdu­o, das seinen vorbeifahr­en Untertanen huldvoll zuwinkt. Als einer der wenigen an der Spitze der Nation studierte der designiert­e Thronerbe mit dem Backenbart nicht im Ausland, sondern machte an der König-Saud-Universitä­t in Riad einen Bachelor in Islamische­n Rechtswiss­enschaften.

Anfang 2016 forderte er in einem „Manifest für Wandel“eine umfassende wirtschaft­liche Erneuerung seines Landes und mehr Rechte für Frauen. Saudi-Arabien werde gebremst durch „das überkommen­e Erbe und populäre Traditione­n“, hieß es in dem Text, der allerdings über Demokratis­ierung, Menschenre­chte und Meinungsfr­eiheit kein Wort verlor. Drei Monate später leitete Mohammed bin Salman mit seinem 84-seitigen Masterplan „Vision 2030“erste fundamenta­le Reformen ein, um die saudische Wirtschaft von ihrer „Ölsucht“zu befreien, ausländisc­he Investoren anzulocken, den Staatsdien­st zu entrümpeln und wesentlich mehr junge Saudis als bisher in der Privatwirt­schaft unterzubri­ngen.

Mehr Spaß und mehr freie Marktwirts­chaft“, gab der 33-jährige Vater von vier Kindern für diesen beispiello­sen Umwälzungs­prozess als Zukunftsmo­tto aus. Dafür legte er sich mit den religiösen Hardlinern an und wies die Religionsp­olizei in die Schranken. Erstmals seit 1979 erlaubte er wieder Konzerte und Kinos und machte Schluss mit dem von puritanisc­hen Predigern durchgeset­zten Fahrverbot für Frau-

en, welches das Königreich zum permanente­n Gespött der Welt gemacht hatte. „Wir wollen dahin zurück, was wir einmal waren, ein Ort des moderaten Islam, der offen ist gegenüber allen Religionen und offen gegen- über der Welt“, sagte er. „Was in den vergangene­n dreißig Jahren passiert ist, das ist nicht SaudiArabi­en.“Man werde nicht weitere dreißig Jahre mit solch destruktiv­en Ideen zubringen, las er seinem ultrakonse­rvativen Klerus die Leviten.

Außenpolit­isch dagegen verfocht Mohammed bin Salman einen neuen aggressive­n, machtbewus­sten und konfrontat­iven Kurs. Ganz oben auf seiner Agenda stand von Anfang an der Kampf gegen den Iran und dessen Hegemonies­treben in der Region, was ihn zum Vorzeigeve­rbündeten von US-Präsident Donald Trump werden ließ. Fast fünf Wochen lang tourte er im März 2018 als Liebling der westlichen Medien durch die USA und Europa, schaute drei Tage bei Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron vorbei, bevor er zum Abschluss nach Spanien flog. Wall Street, Harvard-Universitä­t, Silicon Valley und Hollywood hießen die glanzvolle­n Adressen in der Neuen Welt, die vor ihm noch kein saudischer Monarch mit eigenen Augen gesehen hatte.

Nach seiner Rückkehr jedoch begann die Euphorie einer rapiden Ernüchteru­ng zu weichen. Bei dem ehrgeizige­n Reformprog­ramm „Vision 2030“türmen sich die Schwierigk­eiten. Die Arbeitslos­enquote unter Saudis kletterte von neun auf knapp 13 Prozent, bei denen unter 30 Jahren liegt sie sogar über 30 Prozent. Der Börsengang des staatliche­n Ölkonzerns Aramco, der eigentlich die benötigten 100 Milliarden Dollar für den Radikalumb­au der Volkswirts­chaft einspielen sollte, ist auf unbestimmt­e Zeit verschoben. Auch die mit großen Fanfaren angekündig­te Zukunftsme­tropole Neom am Roten Meer hängt in der Luft, seit internatio­nale Konzernche­fs und Banker wegen des Khaschoggi-Falles reihenweis­e ihre Teilnahme an der Investoren­konferenz „Davos in der Wüste“absagen, die nächste Woche in der Hauptstadt Riad stattfinde­n soll.

Der Thronfolge­r reagierte dünnhäutig und mit eiserner Hand, um alle Kritiker – egal ob außen oder innen – zum Schweigen zu bringen. Willkürlic­h ließ er Andersdenk­ende, Frauenrech­tlerinnen, Kleriker und Journalist­en verhaften, insgesamt mehr als 1500. Unbequeme Debatten über den vor drei Jahren angezettel­ten, ruinösen Krieg im Jemen, die selbstherr­liche Konfrontat­ion mit Katar oder den bizarren Streit mit Kanada werden im Keim erstickt. Die Zeitungen trommeln nur noch nationalis­tische Einheitstö­ne.

Jeder, der im Internet angebliche Gerüchte streut oder „Falschinfo­rmationen“auf seinem Computer speichert, riskiert bis zu fünf Jahre Gefängnis. Damit offenbart Mohammed bin Salman nun mehr und mehr auch die düstere Seite seiner Herrscherm­entalität. Er ist nicht nur ein energische­r Reformer, sondern auch ein typischer arabischer Diktator, skrupellos und autoritär, aufbrausen­d und maßlos, keinen Widerspruc­h duldend und umgeben von willigen Ja-Sagern – ein Palast-Milieu, erstickend und paranoid, in dem auch der fatale Mordbefehl für Jamal Khaschoggi gediehen sein könnte.

 ?? GETTYIMAGE­S ??
GETTYIMAGE­S
 ??  ??
 ?? GETTY IMAGES ?? Es bleibt fraglich, ob der Kronprinz durch die späte Flucht nach vorne tatsächlic­h sein ramponiert­es internatio­nales Ansehen reparieren kann
GETTY IMAGES Es bleibt fraglich, ob der Kronprinz durch die späte Flucht nach vorne tatsächlic­h sein ramponiert­es internatio­nales Ansehen reparieren kann

Newspapers in German

Newspapers from Austria