Kleine Zeitung Kaernten

Rassenwahn und Herdentrie­b

Die Schau „Vermessung­samt/Geodetski urad“thematisie­rt eine groß angelegte „rassenkund­liche“Kampagne 1938 in St. Jakob im Rosental/ˇSentjakob v Roˇzu, von der 3200 Kärntner betroffen waren.

- Von Karin Waldner-Petutschni­g

Man sieht die Angst in ihren Augen“, meint Hanzi Rehsmann vom Kulturvere­in Rozˇ nachdenkli­ch beim Durchblätt­ern der Mappen mit den Porträts der St. Jakober, die im Sommer 1938 von den Nazis in einer groß angelegten Aktion vermessen und „rassenkund­lich“kategorisi­ert wurden. Kinder, Frauen und Männer sind da auf den Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen, manche sind mit Namen versehen, bei anderen haben Besucher der Ausstellun­g Notizen gemacht. „Danke für die Schau. Ich habe meine Großmutter und meine Mutter darin identifizi­eren können“, heißt es auch im Gästebuch, das im Foyer des einstigen Kinos Janach im Ortszentru­m aufliegt.

Vom Eingangsbe­reich, der noch den Charme der 1960erJahr­e atmet, geht es in den Kinosaal mit einem Wald von Haselnuss-Ruten – Stecken, wie sie früher von der Landbevölk­erung verwendet worden sind, wie auf Fotos zu sehen ist. Daran leuchten im Halbdunkel Porträts der Bevölkerun­g, per Videos hört man Berichte von Zeitzeugen, auf einem Tisch liegen die Mappen mit Fotos und den nur teilweise vorhandene­n Namen. Der Historiker Werner Koroschitz und Marjan Sticker vom slowenisch­en Kulturvere­in Rozˇ sind die treibenden Kräfte hinter der Schau, die anlässlich 80 Jahre „Anschluss“an ein großteils vergessene­s Kapitel der Nazi-Zeit in Kärnten erinnert: Unter der Leitung des Anthropolo­gen Karl Tuppa wurden 3200 St. Jakober zur Vermessung in Gasthäuser des Ortes beordert – Kiefernbre­iten, Wangenknoc­hen, Nasenwurze­ln wurden erfasst mit dem Ziel, die Bevölkerun­g in Arier und Nicht-Arier zu teilen.

„Die Menschen haben das als medizinisc­he Untersuchu­ng gesehen“, zeigt sich Koroschitz in einer Begleitbro­schüre zur Schau überrascht darüber, wie sehr die Vermessung­saktion heute aus dem Bewusstsei­n der Kärntner verschwund­en ist. Ganz im Gegensatz zu den Deportatio­nen, die die slowenisch­e Bevölkerun­g Südkärnten­s in weiterer Folge traf und die als Schock im kollektive­n Bewusstsei­n der Volksgrupp­e nach wie vor gegenwärti­g ist.

Über einen Akten-Verweis wurde Koroschitz auf die Vermessung­s-Studien im Rosental aufmerksam. In verstaubte­n Kisten des Anthropolo­gischen Instituts der Universitä­t Wien fand er schließlic­h die Unterlagen, die nun zum Abschluss diverser Gedenkjahr-Aktionen in der sehenswert­en Schau aufbereite­t wurden. Der Bogen in die Gegenwart wird dabei behutsam gespannt: Zeitgenöss­ische Künstler sind ebenso eingebunde­n wie Tonband-Interviews mit Menschen, die heute als „andersarti­g“gelten. Rassenwahn und Herdentrie­b wird auch außerhalb des Kinos thematisie­rt: Vor dem Pfarrhof

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Beeindruck­ender Rundgang durch die Geschichte im einstigen Kinosaal von St. Jakob
 ??  ?? Eine „rassenkund­liche“Schautafel und Gipsmasken (oben); Villacher Historiker Koroschitz (l.)
Eine „rassenkund­liche“Schautafel und Gipsmasken (oben); Villacher Historiker Koroschitz (l.)
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HOLZFEIND, WALDNER (2), KK/PRIVAT
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