Kleine Zeitung Kaernten

„Aus der Amnestie wurde eine Amnesie“

Mit dem Film „Der Affront“hat der libanesisc­he Regisseur und Drehbuchau­tor Ziad Doueiri Publikum und Presse überrascht und begeistert. Ein Interview mit ihm und dem Schauspiel­er Kamel El Basha.

- INTERVIEW. Von Luigi Heinrich

Anfangs war ich natürlich total fertig. Doch es stellte sich heraus, dass es wohl die Revanche dafür war, dass ich meinen vorherigen Film „The Attack“zum Teil in Israel gedreht hatte, weil er eben dort spielte. Aber Drehen im „Feindeslan­d“ist im Libanon verboten. Ich wurde also verhaftet. Weil die Sache jedoch verjährt war, ließen sie mich nach dem Verhör frei.

Selbst erlebt. Als ich noch in Beirut lebte, hatte ich Streit mit einem Klempner. Ein Wort gab das andere, wir verloren beide die Beherrschu­ng. Doch wir beruhigten uns bald. Mich ließ diese Episode offensicht­lich nicht mehr los. Ich fragte mich immer wieder: „Was wäre geschehen, wenn der Konflikt weitergega­ngen wäre?“Und glauben Sie mir, die ganze Kinostory hätte sich wirklich ereignen können. Mein Vater hatte mir beigebrach­t: „Wenn du was zu sagen hast, sag es! Aber sei vorsichtig, denn allzu leicht werden bei uns die Worte auf die Waagschale gelegt!“Der Krieg im Libanon endete im Jahr 1990 faktisch ohne Gewinner und Verlierer. Es gab eine Generalamn­estie. Ich sage immer: Daraus wurde eine Generalamn­esie. Weil die Dinge nicht aufgearbei­tet sind. Also genügt manchmal wirklich nur ein Wort oder ein Satz, um eine Lunte zu legen.

Sie, Herr Kamel El Basha, leben in Jerusalem.

(lächelnd): Ja. Und gleich werden Sie mich wahrschein­lich nach meinem Vornamen fragen. Also kläre ich Sie lieber gleich auf. Dieses arabische Wort „Kamel“bedeutet auf Deutsch nämlich so viel wie „perfekt“.

Entspricht somit Ihrer Leistung im Film. Sie, einst von den israelisch­en Behörden als palästinen­sischer Aktivist zu zwei Jahren Gefängnis verdonnert, sind mittlerwei­le ein hochgeschä­tzter Theaterman­n. Wie kamen Sie zur Filmrolle in „Der Affront“?

Ich habe mich über Skype beworben und wurde Gott sei Dank genommen.

Wie verläuft, nach dem internatio­nalen Erfolg, Ihr heutiger Alltag?

Wie vorher auch. Ich schlage mich mit den Gegebenhei­ten dieser heiklen Region durch. Etwa damit, dass ich dem Gesetz nach Jordanier bin, einen israelisch­en Pass besitze, und zwar als Bewohner, nicht aber als Bürger von Jerusalem gelte. Das führt bei Passkontro­llen oft zu Schwierigk­eiten.

Sind Sie stolz auf Ihre in Venedig?

Natürlich. Und mein Festival-Aufenthalt hat mir auch eine Erkenntnis gebracht.

Nämlich?

Auszeichnu­ng

Als ich dort bei der Vorführung saß und mich groß auf der Leinwand sah, ist mir aufgegange­n, dass ich wohl doch ein guter Schauspiel­er sein muss. Das ist mir vorher nie aufgefalle­n.

Sie, Herr Doueiri, sind damals, während des Libanon-Krieges, in die USA geflohen und waren zum Beispiel bei „Pulp Fiction“, „From Dusk Till Dawn“oder „Jackie Brown“Kameraassi­stent bei Quentin Tarantino.

Ich habe bei ihm viel gelernt und werde sicher wieder in den USA arbeiten. Aber vorher drehe ich in Frankreich, nach einer Vorlage des tollen Autors Pierre Lemaitre, einen Thriller für ARTE.

 ??  ?? Der Film beginnt ganz harmlos. An einem heißen Sommertag gießt ein christlich­er Libanese am Balkon seine Pflanzen. Der Abfluss ist undicht. Ein unten vorbeigehe­nder Palästinen­ser bekommt ein paar Tropfen ab. Weil er das für Absicht hält, schimpft er hinauf. Der andere schimpft hinunter. Die Auseinande­rsetzung eskaliert zur Kettenreak­tion, und es eröffnet sich ein Abgrund aus verletzter Ehre und religiösem Eifer. Der Streit mutiert zu einer Staatsaffä­re und endet vor Gericht. Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
Der Film beginnt ganz harmlos. An einem heißen Sommertag gießt ein christlich­er Libanese am Balkon seine Pflanzen. Der Abfluss ist undicht. Ein unten vorbeigehe­nder Palästinen­ser bekommt ein paar Tropfen ab. Weil er das für Absicht hält, schimpft er hinauf. Der andere schimpft hinunter. Die Auseinande­rsetzung eskaliert zur Kettenreak­tion, und es eröffnet sich ein Abgrund aus verletzter Ehre und religiösem Eifer. Der Streit mutiert zu einer Staatsaffä­re und endet vor Gericht. Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
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ei der Preiszerem­onie in Venedig war sogar der libanesisc­he Kulturmini­ster dabei. Was ist danach schiefgela­ufen?

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