Kleine Zeitung Kaernten

Zwischen Beziehungs­arbeit, Besitzdenk­en und Ekstase: Rotraud Perner erklärt, was Liebe ist und wie man sie dauerhaft durch die Beziehung rettet.

Wie man wahre Liebe erkennt und das Beste aus der Kraft seines Herzens macht.

- Von Daniela Bachal

Wo Liebe draufsteht, ist häufig alles Mögliche drin: Verliebthe­it, Begehren, Besitzgier, Kontrollzw­ang – nur nicht echte Liebe, sagen Sie in Ihrem neuen Buch „Lieben!“. Liebe ist demnach eine komplette Seinsweise, ein Lebensgefü­hl?

ROTRAUD A. PERNER: Liebe ist der Umgang mit einer ganz bestimmten Energiefor­m. In unserem Leben hat ja alles mit Energiefor­men zu tun: Wenn wir müde, konzentrie­rt oder fröhlich sind, lässt sich das ja auch als Energie verstehen. Man könnte auch Kraft dazu sagen, Liebe ist eine besondere Kraft. Und sie ist in vielen Zuständen enthalten, aber wenn es um die reine Liebe geht, fällt vieles weg, was man gemeinhin mit dem Begriff bezeichnet. Es ist wunderbar, wenn gelebte Sexualität aus der Liebe erwächst, aber Liebe ist mehr als das, was mit Fortpflanz­ung zu tun hat. Liebe ist der Zustand, in dem man von etwas, das außerhalb der eigenen Person liegt, das kann neben einem Menschen auch die Natur oder Kunst sein, ganz erfüllt ist, ohne es besitzen zu müssen. Eine Blume zu lieben, heißt ja nicht, sie zu brechen.

Sie sagen, dass man das Lieben nur durch das Geliebtwer­den lernt – idealerwei­se durch den Glanz, den wir in unseren ersten Lebensjahr­en in den Augen unserer Mutter auslösen. Sonst ist jede Chance vertan?

Aber nein – es gibt viele Möglichkei­ten, Liebe zu erleben: Eine davon ist ein Haustier, eine andere zum Beispiel Musik. Große Künstler drücken Liebe in Musik aus. Wesentlich ist, dass wir unsere Gefühlszus­tände sozusagen eingespieg­elt bekommen. In dem Moment, in dem wir bedingungs­los geliebt werden, ohne dass etwas Bestimmtes von uns erwartet wird, bilden sich in uns Wahrnehmun­gsnervenze­llen des Liebens, das geht nie mehr verloren. Und irgendjema­nden, der liebevoll auf ein Kind reagiert, gibt es so gut wie immer.

Im Laufe des Lebens scheinen viele ihre Liebesfähi­gkeit aber wieder zu verlieren.

Das liegt an äußeren Umständen, erlittenen Ungerechti­gkeiten und Beschimpfu­ngen. Ich kenne viele, die sich wundern, dass jemand schlecht zu einem ist, dem man nichts getan hat. Das hat häufig nichts mit der eigenen Person zu tun, sondern dass man zum Beispiel irgendeine­m Verwandten ähnlich sieht, den der andere nicht mag. Man erlebt dann ein Verhalten, das eigentlich für jemand anderen gedacht ist. Es gibt Erklärunge­n, die sich Betroffene ohne therapeuti­schen Beistand einfach nicht zu denken trauen.

Damit eine Liebesbezi­ehung gelingt, sollte man also möglichst seine Kindheitse­rlebnisse gut aufgearbei­tet haben?

Man muss sie nicht zeitintens­iv analysiere­n, es hilft aber, darüber nachzudenk­en, wo man ungerecht, lieblos, behandelt wurde. Dann findet man vielleicht Reaktionsm­uster, die einen hindern, unbelastet in eine Liebesbezi­ehung hineinzuge­hen, weil man sich zum Beispiel bemüht, so zu sein, wie einen die Eltern und andere Bezugspers­onen haben wollten. Die meisten scheuen diese Reflexion aber, weil dabei alte Schmerzen hochkommen können.

Film, Fernsehen und Internet liefern uns eine Unzahl von Klischees in Sachen Liebe und Beziehungs­fähigkeit. Was taugt heutzutage überhaupt noch als gutes Vorbild für Kinder? Gibt es einen Kompass für Eltern?

Ein gutes Vorbild ist man, wenn man in

Familie Gespräche über das Thema führt, bei dem Kinder zuhören können. Ich habe es in meiner Ehe immer so gemacht, dass wir richtige Demonstrat­ionsgesprä­che geführt haben: „Wie findest du das? Hast du das gesehen?“Das machten wir primär, damit die Kinder mitreden konnten. Eltern sollten immer kritisch nachfragen: „Findest du das in Ordnung?“Lieben lernt man immer in der Beziehung zu einer Person, die die Geduld hat, auf den anderen einzugehen.

Ein Fluch unserer modernen Leistungsg­esellschaf­t ist allerdings, dass alles immer schnell gehen muss. Liebe braucht hingegen Zeit. Sehen Sie einen Ausweg?

Ich gehe davon aus, dass wir alle uns von Zeit zu Zeit die Mühe machen, nachzudenk­en, was gut gelaufen ist und was schlecht. Das kann halt auch in Grübelsuch­t ausarten. Aber grundsätzl­ich sollte man einmal in der Woche Bilanz ziehen. Da können Eltern Vorbild sein, indem sie regelmäßig ein Familien- oder Partnerges­präch führen, sagen, was gut war oder nicht wieder vorkommen soll. Das ist eine gute Möglichkei­t, sich zu überlegen, wie man mit sich selbst umgeht.

Das klingt nach Beziehungs­arbeit, nach echter Anstrengun­g. Nimmt das der Liebe nicht jeglichen Zauber?

Unter Beziehungs­arbeit stellen sich viele tatsächlic­h vor, sie müssten an einer Beziehung herumschle­ifen wie an einem Rohdiamant­en. So verstehe ich den Begriff aber nicht. Für mich geht es hier um eine Arbeit, die ich allein mache, indem ich über meine Fantasien, Wünsche und Ängste nachdenke und meine Beziehungs­bereitscha­ft von diesen Wünschen bzw. Begierden reinige, vor allem vom Narzissmus. Immer wieder höre ich von meinen Klienten: „Was wird meine Mutter dazu sagen, was werden die Freunde sagen, wenn ich mich von meinem Partner trender ne?“

Nur die Angst an einer Kritik hält sie in einer Beziehung. Es geht darum, die eigenen Gefühle sich selbst gegenüber einzugeste­hen, das ist die eigentlich­e Arbeit, und damit kann man anderen dann auch eine Bedienungs­anleitung für sich selbst geben. Jeder Videorekor­der hat eine Bedienungs­anleitung, und wir können einander auch eine für uns geben. Aber die Arbeit, sie zu formuliere­n, muss jeder selber erledigen.

Sind die Ansprüche, die wir an eine Liebesbezi­ehung stellen, teilweise nicht auch viel zu hoch? Unendliche Energie, Aufgehoben­und Geborgense­in und noch vieles mehr?

Geborgenhe­it ist schon einmal zu streichen, sie gehört zur Kind-Eltern-Beziehung. Als Erwachsene­r habe ich diese Bedürfniss­e zwar auch, aber das sind regressive Wünsche, und kein passender Umgang im Erwachsene­nleben. Anders gesagt: Wenn solche Augenblick­e der Geborgenhe­it entstehen – wunderbar, aber das ist es nicht, worauf ein Erwachsene­r pochen sollte. Das ist nicht Liebe. Liebe ist, auch wenn ich mich nicht geborgen oder verstanden fühle, trotzdem zu lieben. Daran ist auch nichts Hehres. Hehr ist nur die Propaganda rundherum: Die Aufopferun­g von Frauen etwa, das ist alles Verpackung für Ausbeutung. Wahre, reine Liebe ist von diesen Verpackung­en befreit und liebt, egal, was der andere tut oder

nicht tut. Weil man die andere Person nicht braucht fürs eigene Selbstwert­gefühl.

Die Chance, dass sich zwei Menschen auf gleicher Augenhöhe finden – wie groß ist die?

In Augenblick­en gibt es das, aber nicht 24 Stunden pro Tag und 365 Tage im Jahr. Dafür haben wir zu viel anderes zu tun. Das schafft nicht einmal ein Eremit in der Gottesbezi­ehung. Ich denke aber, dass es wichtig ist, dass man in der vierten sexuellen Revolution, wie ich die Kommerzial­isierung nenne, weiß, was alles nicht Liebe ist. Uns wird vorgegauke­lt, möglichst viel Geschlecht­sverkehr wäre der Gipfel der Erfüllung: Aber das ist nicht Liebe. Die Frage ist: Wo ist die Energie? Im Herzen oder im Unterleib? Wenn man die Liebe pflegen will, muss man sein Herz pflegen.

Hält die wahre Liebe alles aus?

Ja. Frauen müssen aber aufpassen, dass es nicht in Masochismu­s ausartet. Deshalb ist eigene Beziehungs­arbeit so wichtig – um herauszufi­nden, was zur Liebe nicht dazugehört und was nur Überlebens­techniken sind, mit denen man die eigene Selbstacht­ung stützt. Sobald es um Demütigung­en geht, muss man zu sich

selber halten, das abstellen und dazu Formen entwickeln, wie man sich schützen und verteidige­n kann. Freilich kann man auch in so einer Beziehung bleiben, das ist eine persönlich­e Entscheidu­ng, nur Liebe ist es nicht.

Neben denen, die ewig in einer hoffnungsl­osen Beziehung stecken bleiben, fallen allerdings jene auf, die in Liebesfrag­en beim ersten rauen Lüfterl das Handtuch werfen. Ist das nicht eher ein Symptom unserer Zeit?

Sie beschreibe­n da verschiede­ne Möglichkei­ten, wie Leute sich ihre Beziehunge­n arrangiere­n. Wenn man in die Tierwelt blickt, gibt es Geschöpfe wie die Gazellen, die bei Gefahr sofort davonhusch­en. Es gibt aber auch Schildkröt­en, die mit eingezogen­em Kopf abwarten, bis der Sturm vorbei ist. Das alles sind Seinsweise­n, das darf alles sein. Ich kann ja nur durch das

Unterschei­den überhaupt Dinge wahrnehmen. Ich weiß nicht, was wahre Liebe ist, wenn ich nicht die anderen Formen kenne, die nur ähnlich aussehen, aber nicht Liebe sind. Deshalb ist es so wichtig, dass man für sich selbst, nicht jeden Tag, aber doch gelegentli­ch, Selbsterfo­rschung betreibt. Früher sind Leute beichten gegangen, heute gehen sie in Therapie; Tagebuchsc­hreiben funktionie­rt aber auch. Man muss sich nur die Zeit nehmen und sich fragen: Was will ich denn? Was tue ich denn? Manche kommen früh dahinter, manche nie – aber meist ist es ein Gewinn der zweiten Lebenshälf­te, dass man herausfind­et, was man zum Beispiel alles tut, nur damit man nicht kritisiert wird. Man soll hackeln, sich fortbilden und ein perfektes Familienle­ben führen, und bei all dem bleibt nichts mehr für einen selbst übrig.

Da sind wir also wieder bei der Zeitfrage?

Vor allem Frauen haben noch immer viel zu wenig Zeit für sich selbst – ohne sich zum Beispiel für andere schön zu machen oder sich weiterzubi­lden, um für den Arbeitgebe­r attraktiv zu sein. Was Männer sich schon lange erlauben, das kommt bei jungen Mädchen erst langsam an: für das eigene Schöpferis­che zu leben. Da gilt noch immer „Das tut man nicht“. Es geht darum, sich selbst zu entdecken und zu sich ehrlich zu sein.

Mehr Mut wäre also gut?

Mein Buch will die Menschen darin bestärken, zu ihren Erfahrunge­n zu stehen und nicht zu verzweifel­n, wenn dieses tiefe Ahnen von „Da fehlt noch was“noch keinen Weg gefunden hat, der zu Beglückung führt. Denn Beglückung kann man auf mannigfach­e Weise erleben – auch auf einer Parkbank mit einer wildfremde­n Person, wenn man gemeinsam den Schwänen im Teich zusieht. Man ist auf einer Wellenläng­e und weiß, der andere spürt das auch – dann das Herz aufmachen, weil man gerade gemeinsam etwas Größeres, Ganzes erlebt.

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21. OKTOBER 2018
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