Merkels Wahlkampf in eigener Sache
Hessen wählt und die Kanzlerin muss zittern. Denn am Sonntag könnte sich in dem mittelgroßen deutschen Bundesland auch das Schicksal der Großen Koalition in Berlin entscheiden.
Wenn Sie Wut haben, was in Berlin passiert,
schreiben Se mir ’nen Brief. Es kommt
auch wieder ’ne Bundestagswahl.
Angela Merkel im hessischen Wahlkampf in Kassel
Die Berliner Regierung – mit der habe ich ja was zu tun, ich bin Bundeskanzlerin -, die kann von dem Stil, mit dem hier in Hessen gearbeitet wird, nur lernen.
Merkel, ebenfalls in Hessen
Andrea Nahles baut sicherheitshalber schon vor: „Ich sehe das nicht als Schicksalswahl für mich. Und auch nicht als Schicksalswahl insgesamt.“Die SPD-Chefin ahnt ein böses Erwachen am Sonntag für ihre Partei und auch für den Koalitionspartner in Berlin. Sie wolle nicht garantieren, dass es die Große Koalition mit der Union aus CDU und CSU in Berlin nach der Landtagswahl in Hessen noch gibt. Aber irgendwie erinnern Nahles’ Worte dann doch an das Gedankenexperiment „Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten!“– wobei das Gesagte natürlich genau das Gegenteil bewirkt.
Unter normalen Umständen wäre eine Landtagswahl in dem fünftgrößten Bundesland im Herzen Deutschlands für Regionen außerhalb der nationalen Grenzen eher unbedeutend. Doch an diesem Sonntag schaut halb Europa auf die Landeshauptstadt Wiesbaden, nach Frankfurt am Main und auch nach Kassel. Denn hier könnte sich das Schicksal von Nahles, vor allem aber von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel entscheiden.
CDU droht das nächste Debakel nach der Bayernwahl, der SPD der Absturz in den Rang einer Kleinpartei – überholt einmal mehr von den Grünen. Sozial- und Christdemokraten wird jeweils ein zweistelliger Verlust im Vergleich zu den Ergebnissen von 2013 vorausgesagt, ein herber Rückschlag für die politischen Kontrahenten, die sich bislang als Volksparteien verstanden.
Grüne und AfD dürften davon profitieren. Das ist zum Teil mit den Gründen zu erklären, die auch schon bei den vorhergehenden Wahlen in Deutschland ausschlaggebend waren. Gleichzeitig überrascht der Sprung der Grünen auch ein wenig, denn sie sind Regierungspartner der CDU in Wiesbaden. Üblicherweise verliert der kleinere Koalitionspartner bei den folgenden Wahlen eher. Erfolge werden dem Ministerpräsidenten zugesprochen. Doch für Volker Bouffier ist es kein Schub, dass seine Koalition weitgehend harmonisch und mit sichtbaren Fortschritten regiert hat. Er verliert sogar, obwohl er sich als Gegenpol zu den lautstarken Vertretern in der Union positioniert hat. Somit greifen die Erklärungsmuster, die in Bayern bemüht worden sind, auch nicht.
Möglicherweise schadet ihm, dass er keinen Abstand zu Merkels Kurs und zu ihr persönlich gesucht hat, eher sogar das Gegenteil. Und damit wird die Hessen-Wahl auch ein direkter Vertrauensindex für die Politik der BundesCDU und für deren Chefin persönlich. Im Dezember muss sich Merkel bei einem Bundesparteitag der Wiederwahl als Vorsitzende stellen. Mit dem 26-jährigen Jusstudenten Jan-Philipp Knoop, dem 61-jährigen Unternehmer Andreas Ritzenhoff sowie dem Völkerrechtler Matthias Herdegen gaben bereits CDU-Mitglieder ihre Kandidatur bekannt. Spätestens seit der Kampfkandidatur in der Bundestagsfraktion, wo der weitgehend unbekannte Abgeordnete Ralph BrinkDer
haus gegen den Merkel-Vertrauten Volker Kauder antrat und überraschend gewann, sind alte Sicherheiten in Bezug auf Merkel Makulatur.
Sollte die CDU am Sonntag auf gleicher Höhe mit den Grünen enden, dürfte die Diskussion um eine Erneuerung an der Partei- und Regierungsspitze entbrennen.
Merkel warnte am Dienstag vor zu großen Rückschlüssen von der Landtagswahl auf den Bund und auch auf ihre eigene Zukunft. „Es kann nicht jede Landtagswahl zu einer kleinen Bundestagswahl stilisiert werden. Das ist falsch.“Allerdings reagierte sie auch nicht mehr so rigoros auf Fragen zu ihrer Nachfolge wie früher. Die CDU habe „ein tolles Angebot“. Ihr werde jedenfalls „gar nicht bange“mit Blick auf die Frage, wer ihr an der Spitze folgen könnte.