Demokratische Schnellreifung
Die Sehnsucht nach einem „starken Mann“ist seit dem Vorjahr in Österreich deutlich gesunken. Von (für potenzielle Potentaten ermutigenden) 43 Prozent auf (aufstrebende Alleinherrscher enttäuschende) 16 Prozent. Liegt das an statistischen Ungenauigkeiten oder einem demokratischen Schnellreifungsprozess?
Wer sich starke Führer wünscht, dem ist es eine Lust, beherrscht zu werden. Oder er will sich als ewiges Kind in die schützende Hand einer übermächtigen Vaterfigur begeben. Oder ist nicht im Vollbesitz seiner Geisteskräfte. Starke Männer neigen dazu, nicht nur ihre Länder mit eiserner Faust zu regieren, sondern ihr Revier durch Kriege zu erweitern. „Der Starke ist am mächtigsten allein“, darum will der Machthaber auch nach Möglichkeit der Einzige sein und strebt seiner herrischen Natur gemäß nach der Weltherrschaft. Wenn Millionen Menschen seinem Eroberungsdrang zum Opfer fallen, kümmert ihn das nicht wirklich. Dazu gibt es klare Aussagen von Napoleon bis zu unserem Landsmann Hitler. Man sollte meinen, diese unzeitgemäß autoritären Figuren hätten nur noch in Geschichtsbüchern Platz.
96 Prozent der Bevölkerung bejahen laut der Wertestudie der Universität Wien die Demokratie. Das erschwert Umsturzpläne, etwa der sogenannten Staatsverweigerer, die sich kürzlich vor Gericht für eine Militärregierung aussprachen. Mit dem politischen System eher bis sehr zufrieden sind 56 Prozent. Dem gegenüber stehen 20 Prozent eher bis gar nicht Zufriedene, von denen anzunehmen ist, dass sie an Wahlen nicht teilnehmen oder durch ihre Stimme jene Kräfte stärken, die sich für Orbáns „illiberale Demokratie“erwärmen. Eine aktuelle Umfrage des Sora-Instituts ergab, dass eine große Mehrheit Maßnahmen verurteilt, die zu dieser ungarischen Demokratie-Salami führen würden, also „die Einschränkung von Medien, Gerichten, Meinungsund Versammlungsfreiheit“.
Wer sich starke Männer wünscht, dem ist es eine Lust, beherrscht zu werden. Oder er ist nicht im Vollbesitz seiner Geisteskräfte.
Wie sich die Zustimmung gut eines Viertels der Wählerschaft für eine mit Putin und Orbán liebäugelnde Regierungspartei erklären lässt, steht auf einem anderen Blatt.
Günter Eichberger lebt als freier Schriftsteller in Graz