Kleine Zeitung Kaernten

Bricht ein neues Zeitalter der Autokraten an?

In Brasilien könnte heute mit Jair Bolsonaro ein Mann die Wahl gewinnen, der sich offen für die Diktatur aussprach. In den USA regiert ein Mann, der die Institutio­nen des Staates infrage stellt. Der Osten Europas schwärmt für den starken Mann. Ist die De

- Von Nina Koren APA (3), AP (2)

Im Prinzip hat Jair Bolsonaro nie ein Geheimnis daraus gemacht, wo er steht: „Ja, ich bin für die Diktatur“, erklärte er 1993 offen – und die hatte Brasilien zwei Jahrzehnte lang eisern im Griff. 1999 bestätigte er in einem Interview seinem Gesprächsp­artner ebenso direkt: „Ich bin für die Folter, du weißt das, und das Volk ist es auch.“Jetzt, im Wahlkampf um das mächtigste Amt im bevölkerun­gsreichste­n Staat Lateinamer­ikas, kommt das alles etwas weich gewaschen daher; die Jungen feiern Bolsonaro fröhlich wie einen Fernseh-Star. Den „Donald Trump Brasiliens“nennen ihn manche.

Setzt sich der ultrarecht­e ExMilitär tatsächlic­h gegen seinen Gegner durch, reiht er sich ein in den Siegeszug antidemokr­atischer Politiker, die derzeit weltweit einen Regierungs­sitz nach dem anderen zu erobern scheinen. 1989 feierte die Welt mit dem Fall des Eisernen Vorhangs noch den Siegeszug demokratis­cher Ideen. Jetzt steht mit Trump ein Mann an der Spitze einer Supermacht, der gegen Minderheit­en hetzt und nichts als Verachtung übrighat für demokratis­che Kontrolle durch Justiz und Medien. In Venezuela höhlten linke Populisten die demokratis­chen Strukturen aus. Im EU-Mitgliedsl­and Ungarn errichtet Viktor Orbán die „illiberale Demokratie“; in Polen versucht die Regierung, sich durch die Zwangspens­ionierung von Richtern Kontrolle über die Justiz zu verschaffe­n. In der Türkei und in Russland stehen mit Erdog˘an und Putin Männer am Steuer, die die staatliche­n Strukturen Schritt für Schritt unter ihre eigene Kon-

trolle brachten. Und im Einparteie­nstaat China hat sich Präsident Xi Jinping auch noch seine Amtszeitpe­riode auf Lebenszeit verlängern lassen.

Bricht jetzt, dreißig Jahre nach dem Mauerfall und eine Finanz-, eine Euro- und eine Migrations­krise später, ein weltweites Zeitalter der Autokraten an? Ist die liberale Demokratie, die zumindest im Westen unbestritt­en als die beste aller Regierungs­formen galt, nun plötzlich auf dem absteigend­en Ast?

Der Diamond US-Soziologe und auf schreibt sieht dem sie Rückzug Larry in eindeutig „Foreign Policy“von einem „democratic rollback“. Auch der USPolitolo­ge Francis Fukuyama sieht sie ernsthaft bedroht. Zwischen den frühen Siebzigerj­ahren und der ersten Dekade des 21. Jahrhunder­ts habe sich die Anzahl der Demokratie­n von rund 35 auf über 110 erhöht. Im selben Zeitraum habe sich der weltweite Ertrag an Gütern und Dienstleis­tungen vervielfac­ht und das Wachstum auf fast alle Regionen der Erde ausgedehnt. Damit sei es nun vorbei: In vielen Ländern, besonders in den wohlhabend­en Demokratie­n, wachse die Kluft zwischen Arm und Reich. Mit dem wirtschaft­lichen Abstieg gehe ein Identitäts­verlust einher, der zu Wutgefühle­n und einer Zersplitte­rung der Gesellscha­ften führe, die das demokratis­che Gefüge gefährden könne – man denke an die „Echo-Kammern“im Internet, in denen jeder seine eigene Wahrheit bestätigt findet.

Und doch: Ob die These vom Abstieg der Demokratie haltbar ist, ist umstritten. Nicht nur, weil Fukuyama sich 1992, nach dem Ende des Kommunismu­s, mit seiner Behauptung vom „Ende der Geschichte“schon einmal fundamenta­l geirrt hat. Berufsopti­misten wie der USIntellek­tuelle Steven Pinker behaupten genau das Gegenteil: Die Welt sei heute friedliche­r und besser als je zuvor. Auch wenn Pinker Populisten wie Trump, die sich um Fakten nicht scheren, scharf kritisiert, ist er überzeugt: Letztendli­ch werde sich die Kraft der menschlich­en Vernunft durchsetze­n.

Gräbt man tiefer, zeigt sich, dass es einiges gibt, das Erdog˘an, Putin, Orbán oder Trump verbindet – darunter ganz zentral eine Rhetorik, die eine angeblich feindlich gesinnte Gruppe definiert und ausgrenzt („Othering“). „Wir“gegen die „anderen“: „Wir“– das sind immer die Guten – mit dem totalitäre­n Anspruch, dass die eigene Art zu denken der einzig wahre Weg sei. Versöhnlic­he Botschafte­n der Einheit, wirklich für alle regieren zu wollen, seien heute

weniger vielverspr­echend als früher, meint der Politologe William Galston.

Dennoch ist das, was in Brasilien, den USA, auf den Philippine­n unter Duterte oder im Zeichen des Hindu-Nationalis­mus unter Modi in Indien geschieht, nicht ein und dasselbe. Trump polemisier­t zwar aggressiv gegen Kritiker und die Presse, und er hat mit der von der Verfassung vorgesehen­en Kontrolle der Macht des Präsidente­n wenig am Hut. Doch im Gefängnis landen seine Gegner nicht, wie in Russland oder der Türkei. Es scheint, als habe Trumps polarisier­endes Auftreten die Demokratie sogar belebt: Die US-Zeitungen bekamen neuen Zulauf, Bürgerbewe­gungen sind aktiv wie lange nicht, und die Justiz hat unter Beweis gestellt, dass sie Trump etwas entgegenhä­lt. Auch Innenminis­ter Herbert Kickls versuchter Maulkorb-Erlass gegen kritische Medien wird die Demokratie hierzuland­e nicht erschütter­n. Erdog˘an dagegen konnte nach dem Putschvers­uch den Staat nach seinen Wünschen umbauen. Putin hat seit Langem nicht nur die Regierungs­gewalt, sondern auch Parlament, Justiz und Medien unter seiner Kontrolle.

Der Politologe Wolfgang Merkel von der Berliner HumboldtUn­iversität kommt in seinem Aufsatz „Krise der Demokratie? Anmerkunge­n zu einem schwierige­n Begriff “zu einer differenzi­erten Analyse: Richtig sei, dass die Demokratis­ierungswel­le Mitte der 1990erJahr­e ausgelaufe­n und in eine trendlose Stagnation eingemünde­t sei. Doch: „Die Behauptung eines weltweiten Rückzugs der Demokratie ist anekdotisc­h und alarmistis­ch“, so Merkel. Diese These könne systematis­ch-empolitisc­h

pirisch nicht gestützt werden. Zwar seien Beobachtun­gen, die den reifen Demokratie­n eine anhaltende Malaise oder gar existenzie­lle Krise bescheinig­en, ernst zu nehmen. Stabile Demokratie­n könnten antidemokr­atische Strömungen aber nicht nur aushalten, sondern integriere­n – siehe USA. Merkel ordnet auch Ungarn als Demokratie ein – wenngleich als defekte.

Eine seien ernsthafte Strömungen antidemokr­atische Gefahr aber kurze Zeiträume in Ländern, Demokratie die nur über erlebten Demokratie – wie Brasilien bedeutete oder Russland. nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n in den 90er-Jahren für viele Menschen Verarmung, Chaos und Regellosig­keit – die Überzeugun­g, dass demokratis­che Strukturen über Lösungskom­petenz sich noch nicht verfügen, einstellen. konnte

Wo werden wir in zehn Jahren stehen? Werden die Autoritäre­n ihre Nachbarn anstecken oder doch die Demokraten siegen? Zu Spekulatio­nen lassen sich die Wissenscha­ften nicht gerne hinreißen. Bisher hat sich das Thema Gerechtigk­eit bei Wahlen wenig niedergesc­hlagen; mit Trump wurde gar ein Milliardär Präsident. Das könnte sich ändern – doch Demokratie­garanten sind auch arme Anführer keine. Wie stellt man sich dem Autoritäre­n entgegen? In Europa noch ganz einfach an der Wahlurne, ohne viel zu riskieren. Selbstvers­tändlich ist das nicht. Der Blick über die Außengrenz­e sollte genügen, um zu wissen, dass Wahlrecht und Freiheit ein wertvolles Gut sind, das man, einmal verloren, nur unter hohem Einsatz wieder zurückbeko­mmt.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? China war und bleibt autokratis­ch, Brasilien droht mit der heutigen Wahl zu kippen. Trump und Orbán polarisier­en. Putin und Erdog˘ an brachten staatliche Strukturen unter ihre Kontrolle
China war und bleibt autokratis­ch, Brasilien droht mit der heutigen Wahl zu kippen. Trump und Orbán polarisier­en. Putin und Erdog˘ an brachten staatliche Strukturen unter ihre Kontrolle
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria