Kleine Zeitung Kaernten

Vom Spinner zum Favoriten

Brasilien steht vor einschneid­endem Richtungsw­echsel. Der vermutlich­e Wahlsieger droht Gegnern mit Exil oder Gefängnis.

- Wie üblich Nach dem Motto, Dazu passt auch, Von unserem Korrespond­enten So hat es den Anschein, Einen Vorgeschma­ck Manch einer meint,

Es war eine Atmosphäre, als sei die Wahl schon gewonnen, die letzte entscheide­nde Schlacht erfolgreic­h geschlagen. Zehntausen­de Anhänger von Jair Bolsonaro säumten am Sonntag, eine Woche vor der Stichwahl, in vielen Städten Brasiliens die Straßen. Allein auf der Avendia Paulista im Zentrum der Wirtschaft­smetropole São Paulo versammelt­en sich mehrere Tausend Menschen, ließen den rechtsextr­emen Kandidaten hochleben, sangen, tanzten und feierten Bolsonaro, als sei er Brasiliens Heilsbring­er. Die meisten Anhänger trugen gelbe T-Shirts, wie es ihr Kandidat gewöhnlich tut, und hielten Plakate hoch mit einer Karikatur des linken Ex-Präsidente­n Lula da Silva, auf denen stand: „Nunca mais.“Nie mehr.

ließ sich der Kandidat selbst nicht blicken auf der Kundgebung. Nach dem Messeratte­ntat auf ihn am 6. September durch einen geistig verwirrten Mann zieht es der 63Jährige vor, den Wahlkampf per Facebook und Twitter zu führen. Auch die Kundgebung vom Sonntag begleitete er mit einer Video-Botschaft, die unter Jubelgesän­gen auf eine Großleinwa­nd übertragen wurde. Er kündigte für seine Amtszeit die größte „Aufräumakt­ion“in der Geschichte des Landes an und drohte: „Wir werden diese roten Banditen von der Landkarte fegen.“Rot ist die Farbe der Arbeiterpa­rtei PT von seinem Gegenkandi­daten Fernando Haddad.

Angesichts von 19 Prozentpun­kten Vorsprung in manchen Umfragen auf den linksliber­alen Haddad ist die Euphorie der Anhänger Bolsonaros zu verstehen. Seit der ersten Runde am 7. Oktober, als der ehemalige Fallschirm­jäger und langjährig­e Abgeordnet­e mit einem Schlag überrasche­nde 46 Prozent holte, steigt er unaufhörli­ch in den Umfragen. Parallel dazu sinken seine Ablehnungs­werte und steigen die von Haddad.

Jetzt sagen 38 Prozent der Brasiliane­r, sie würden nie für Bolsonaro stimmen. 55 Prozent sagen dies hingegen von Haddad. Das sei auch „die Konsequenz der Bemühungen der großen Medien, Bolsonaro zu normalisie­ren“, kritisiert Thomas Manz, Repräsenta­nt der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien.

es werde schon alles nicht so schlimm werden, wird der Kandidat, der die Demokratie für eine

„Schweinere­i“hält, plötzlich zu einem ganz normalen Bewerber um das Präsidente­namt umgedeutet.

dass die in der ersten Runde unterlegen­en liberalen und linken Kandidaten Haddad (55) gar nicht, spät oder nur halbherzig unterstütz­en. Ciro Gomes, linker Ex-Gouverneur des Bundesstaa­tes Ceará, kam vor drei Wochen als Dritter mit 12,5 Prozent der Stimmen ins Ziel. Er rief anschließe­nd zwar zur Unterstütz­ung des PTBewerber­s auf, reiste dann aber nach Europa in die Ferien.

Marina Silva, die ehemalige Ikone der Umweltbewe­gung des Landes, entschloss sich erst eine knappe Woche vor der Wahl dazu, Bolsonaros Herausford­erer zu unterstütz­en. Und der liberale Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso hält den Ultrarecht­en anscheinen­d ohnehin für weniger schlimm als die Rückkehr der Arbeiterpa­rtei an die Macht, die erst mit Lula (2003 bis 2011) und dann mit Dilma Rousseff Brasilien fast 14 Jahre regierte.

Rousseff wurde 2016 ihres Amtes enthoben. Und die Bevölkerun­g macht die PT ohnehin für die drei großen Übel Brasiliens verantwort­lich: für die grassieren­de Korruption, die Wirtschaft­skrise und vor allem für den dramatisch­en Anstieg der Kriminalit­ät.

als hätten die Brasiliane­r den Sieg Bolsonaros, der gegen Minderheit­en hetzt und die Militärdik­tatur verherrlic­ht, längst akzepTeil tiert. Spätestens nach dem Sieg in der ersten Runde hat Bolsonaro das Schmuddel-Image des spinnerten Rechtsauße­n verloren. Hinter ihm scharte sich schon immer die große Agrarund Großgrundb­esitzer-Lobby, aber längst sind auch die extrem einflussei­chen evangelika­len Kirchen sowie die konservati­ve Wirtschaft­selite auf seiner Seite. Letztere verführt Bolsonaro mit seinem Kandidaten für das Amt als Superminis­ter für Wirtschaft und Finanzen. Der neoliberal­e Paulo Guedes, ehemaliger Investment­banker, verspricht schließlic­h die Privatisie­rung der Unternehme­n des Landes. Selbst der halbstaatl­iche Ölkonzern Petrobras soll unter den Hammer kommen.

auf das, was Brasilien ab Sonntag erwarten könnte, bekam man nach dem ersten Wahlgang vom 7. Oktober. Denn mit zunehmende­m Triumphali­smus schwanden bei den Bolsonaro-Anhängern zunehmend auch die Hemmschwel­len. Die Gewalt, die der Kandidat immer wieder in den sozialen Netzwerken propagiert­e, setzen seine Anhänger inzwischen in die Tat um.

Nach dem Sieg des Rechtsextr­emen im ersten Wahlgang gab es zahlreiche Übergriffe auf Gegner. In Salvador de Bahía wurde noch am Wahlabend der 63-jährige Musiker Moa do Katendê von einem Bolsonaro-Anhänger erstochen, weil er sich als Linker zu erkennen gab.

Brasilien entscheide­t also nicht nur über einen neuen Präsidente­n, sondern auch darüber, ob das größte und wirtschaft­lich wichtigste Land Lateinamer­ikas in der demokratis­chen Gemeinscha­ft bleibt oder in dunkle Zeiten abstürzt. Brasiliens Demokratie und die Institutio­nen sind brüchig, das Vertrauen in die politische Klasse erschütter­t. Bei einem großen der Bevölkerun­g herrscht aber so viel Verzweiflu­ng und Ernüchteru­ng über die Zustände, dass sie einfach nur wollen, dass sich schnell und dramatisch etwas ändert. Und der einzige Kandidat, der dies verspricht, ist Jair Bolsonaro.

der Präsident Bolsonaro werde schon nicht all das in die Tat umsetzen, was der Kandidat Bolsonaro im Wahlkampf alles angedroht hat. Dem widerspric­ht Experte Thomas Manz. „Man darf sich keiner Illusion hingeben, dass bei Bolsonaro nur der Diskurs schlimm ist, aber die Politik nicht.“

Wie der Rechtsauße­n künftig mit Andersdenk­enden umgehen will, hat er gerade am vergangene­n Sonntag in seiner Video-Botschaft für seine Anhänger nochmals verdeutlic­ht: Er nannte soziale Aktivisten offen „Terroriste­n“und droht ihnen und den Vertretern der Linken mit Exil oder Gefängnis.

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APA Der „Trump“Brasiliens: Jair Bolsonarog­ilt als Favorit in derStichwa­hl
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