„Einen Weg in die Zukunft gefunden“
REPORTAGE. Jugendliche, die in einer betreuten Wohngemeinschaft leben, meistern gemeinsam den Alltag und müssen den Tod einer Mitbewohnerin verarbeiten. Der Öffentlichkeit wollen sie zeigen, dass sie nicht verhaltensauffällig und schwer erziehbar sind.
Zwei weiße Kerzen brennen auf der Kommode hinter dem Gemeinschaftstisch. Daneben ein Blumenstrauß und zwei aufgestellte Bilder mit goldenen Rahmen. „Als Gott sah, dass der Weg zu lang, der Hügel zu steil und der Atem zu schwer wurde, legte er seinen Arm um sie und schenkte ihr seinen Frieden“, steht auf einem der Bilder. Von dem anderen Bild lacht eine 16-Jährige, die bis vor zwei Monaten hier, in einer betreuten Wohngemeinschaft in Kärnten, lebte. Sie beging Suizid.
Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt führt Umfeld-Ermittlungen durch und prüft den Verdacht des Quälens oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen. Das erfolgt routinemäßig in solchen Fällen. Konkret geht es darum, ob der Todesfall verhindert hätte werden können.
Dass in Politiker-Aussendungen und Berichten nach dem tragischen Tod der 16-Jährigen von „verhaltensauffälligen und Drogen konsumierenden Jugendlichen“die Rede war, wol- len die WG-Bewohner nicht verstehen. Das ärgert sie, macht sie traurig, manchmal auch wütend. „Wir sind ganz normal“, sagt der aufgeweckte Alex (15). Aber ja: „Jeder hat seinen Rucksack zu tragen.“Die Menschen hätten „keine Ahnung von so einer WG. Wir wollen nicht, dass sie in den Dreck gezogen wird“. Bis zu acht Jugendliche im Alter von 13 bis 18 können hier leben. Sie alle haben ihr eigenes Zimmer. Bad und Toilette werden zu zweit oder zu dritt genutzt. Dazu gibt es Wohnzimmer, Speiseraum, Terrasse und einen kleinen Fitnessraum.
Jugendliche, für die es aus unterschiedlichen Gründen förderlicher ist, nicht in der Herkunftsfamilie zu sein – wegen Streit zwischen den Eltern, Scheidung oder Erkrankungen. In der WG werden die Jugendlichen betreut, es gibt Regeln und Grenzen, gemeinsame Rituale, Schulungen zur Konfliktbewältigung, Unterstützung für den Schulalltag oder den Weg in eine Berufsausbildung. Auch re- gelmäßige Drogentests werden durchgeführt. „Drogenmissbrauch ist aber nie der Grund der Unterbringung“, betonen die Verantwortlichen.
Nicht wenige Jugendliche sind freiwillig und auf eigenen Wunsch in der WG. „Ich bin noch nie so glücklich gewesen wie hier“, sagt Alina. Die 16-Jährige ist eine selbstbewusste junge Frau, reif und reflektiert. Seit dem Frühjahr lebt sie hier. Sie hatte sich selbst an die Kinderund Jugendanwaltschaft gewandt. Es gab körperliche Gewalt in der Familie. Bei der Scheidung von Mutter und Stiefvater kam es zu Konflikten.
Alex, seit Jahresbeginn WGBewohner, konnte und wollte nicht mehr zu Hause bleiben. „Meine Mutter hat nur noch geschrien.“Jetzt hat er wieder Tritt gefasst und möchte mit einer Lehre in der Gastronomie ins Berufsleben starten. Der ruhige Moritz (15) ist im Schulalltag. Johannes (16) will es als Maler oder Elektriker versuchen. Seine Eltern leben getrennt – der Vater meldete die Mutter beim Jugendamt. Die Behörde entschied schließlich, dass ein anderes Umfeld für den 16-Jährigen derzeit besser wäre.
strömt ein leicht verbrannter Duft. „Das war es wohl mit unserem Abendessen“, scherzen Johannes und Joshua (16). So schlimm ist es nicht, wenig später stärken sich die Jugendlichen mit SchinkenKäse-Toast und Salat. Nach der Belastung der vergangenen Wochen wird die Stimmung gelöster. Es wird wieder gescherzt und gelacht, kleine Neckereien gehören dazu. „Auch wieder mal da“, sagen sie zu Pia (16), die von einem Treffen mit ihrem Freund zurückkommt. Auch sie hat sich vor einigen Monaten selbst ans Jugendamt gewandt, weil es „in der Familie nicht mehr funktioniert“habe.
Mit einer Psychotherapeutin arbeiten die Jugendlichen das traumatische Geschehen, den Tod ihrer Mitbewohnerin, auf. „Es geht vor allem darum, dass sie eine Möglichkeit finden, ihre Trauer, ihren Ärger, ihre