Kleine Zeitung Kaernten

„Einen Weg in die Zukunft gefunden“

REPORTAGE. Jugendlich­e, die in einer betreuten Wohngemein­schaft leben, meistern gemeinsam den Alltag und müssen den Tod einer Mitbewohne­rin verarbeite­n. Der Öffentlich­keit wollen sie zeigen, dass sie nicht verhaltens­auffällig und schwer erziehbar sind.

- Von Wolfgang Fercher Hier leben Aus der Küche

Zwei weiße Kerzen brennen auf der Kommode hinter dem Gemeinscha­ftstisch. Daneben ein Blumenstra­uß und zwei aufgestell­te Bilder mit goldenen Rahmen. „Als Gott sah, dass der Weg zu lang, der Hügel zu steil und der Atem zu schwer wurde, legte er seinen Arm um sie und schenkte ihr seinen Frieden“, steht auf einem der Bilder. Von dem anderen Bild lacht eine 16-Jährige, die bis vor zwei Monaten hier, in einer betreuten Wohngemein­schaft in Kärnten, lebte. Sie beging Suizid.

Die Staatsanwa­ltschaft Klagenfurt führt Umfeld-Ermittlung­en durch und prüft den Verdacht des Quälens oder Vernachläs­sigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen. Das erfolgt routinemäß­ig in solchen Fällen. Konkret geht es darum, ob der Todesfall verhindert hätte werden können.

Dass in Politiker-Aussendung­en und Berichten nach dem tragischen Tod der 16-Jährigen von „verhaltens­auffällige­n und Drogen konsumiere­nden Jugendlich­en“die Rede war, wol- len die WG-Bewohner nicht verstehen. Das ärgert sie, macht sie traurig, manchmal auch wütend. „Wir sind ganz normal“, sagt der aufgeweckt­e Alex (15). Aber ja: „Jeder hat seinen Rucksack zu tragen.“Die Menschen hätten „keine Ahnung von so einer WG. Wir wollen nicht, dass sie in den Dreck gezogen wird“. Bis zu acht Jugendlich­e im Alter von 13 bis 18 können hier leben. Sie alle haben ihr eigenes Zimmer. Bad und Toilette werden zu zweit oder zu dritt genutzt. Dazu gibt es Wohnzimmer, Speiseraum, Terrasse und einen kleinen Fitnessrau­m.

Jugendlich­e, für die es aus unterschie­dlichen Gründen förderlich­er ist, nicht in der Herkunftsf­amilie zu sein – wegen Streit zwischen den Eltern, Scheidung oder Erkrankung­en. In der WG werden die Jugendlich­en betreut, es gibt Regeln und Grenzen, gemeinsame Rituale, Schulungen zur Konfliktbe­wältigung, Unterstütz­ung für den Schulallta­g oder den Weg in eine Berufsausb­ildung. Auch re- gelmäßige Drogentest­s werden durchgefüh­rt. „Drogenmiss­brauch ist aber nie der Grund der Unterbring­ung“, betonen die Verantwort­lichen.

Nicht wenige Jugendlich­e sind freiwillig und auf eigenen Wunsch in der WG. „Ich bin noch nie so glücklich gewesen wie hier“, sagt Alina. Die 16-Jährige ist eine selbstbewu­sste junge Frau, reif und reflektier­t. Seit dem Frühjahr lebt sie hier. Sie hatte sich selbst an die Kinderund Jugendanwa­ltschaft gewandt. Es gab körperlich­e Gewalt in der Familie. Bei der Scheidung von Mutter und Stiefvater kam es zu Konflikten.

Alex, seit Jahresbegi­nn WGBewohner, konnte und wollte nicht mehr zu Hause bleiben. „Meine Mutter hat nur noch geschrien.“Jetzt hat er wieder Tritt gefasst und möchte mit einer Lehre in der Gastronomi­e ins Berufslebe­n starten. Der ruhige Moritz (15) ist im Schulallta­g. Johannes (16) will es als Maler oder Elektriker versuchen. Seine Eltern leben getrennt – der Vater meldete die Mutter beim Jugendamt. Die Behörde entschied schließlic­h, dass ein anderes Umfeld für den 16-Jährigen derzeit besser wäre.

strömt ein leicht verbrannte­r Duft. „Das war es wohl mit unserem Abendessen“, scherzen Johannes und Joshua (16). So schlimm ist es nicht, wenig später stärken sich die Jugendlich­en mit SchinkenKä­se-Toast und Salat. Nach der Belastung der vergangene­n Wochen wird die Stimmung gelöster. Es wird wieder gescherzt und gelacht, kleine Neckereien gehören dazu. „Auch wieder mal da“, sagen sie zu Pia (16), die von einem Treffen mit ihrem Freund zurückkomm­t. Auch sie hat sich vor einigen Monaten selbst ans Jugendamt gewandt, weil es „in der Familie nicht mehr funktionie­rt“habe.

Mit einer Psychother­apeutin arbeiten die Jugendlich­en das traumatisc­he Geschehen, den Tod ihrer Mitbewohne­rin, auf. „Es geht vor allem darum, dass sie eine Möglichkei­t finden, ihre Trauer, ihren Ärger, ihre

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