Kleine Zeitung Kaernten

Die große Versumpfun­g

- Lesen Sie morgen: Die 90er-Jahre und die Europäisie­rung Österreich­s

Ende der Anonymität des Sparbuchs kostete Kreisky viel Rückhalt in der Bevölkerun­g.

Die Aussichten auf die bevorstehe­nden Wahlen verdüstert­en sich. Kreisky war gesundheit­lich angeschlag­en. Zu einer Augenerkra­nkung kam ein schweres Nierenleid­en. Eine Diagnose der Ärzte, von der er seine Wiederkand­idatur abhängig machte, schob er beiseite. Der ermattete „Sonnenköni­g“K wollte es noch einmal wissen. reiskys Ära ging jäh zu Ende. Zwar kam die SPÖ bei den Nationalra­tswahlen im April 1983 noch einmal knapp an die Schallmaue­r zur absoluten Mehrheit heran, doch reichten die 49,5 Prozent der Stimmen nur noch für 90 Mandate – zu wenig. Eine Fortsetzun­g der Alleinregi­erung war nicht mehr möglich und eine große Koalition hatte Kreisky ausgeschlo­ssen. 13 Jahre war er Bundeskanz­ler gewesen. Für eine kleine Koalition fehlten ihm die Kraft und die Lust.

Mitmischen wollte der Altkanzler schon. Kreisky stellte für seinen Nachfolger Fred Sinowatz die Weichen zu einer rot-blauen Koalition. Ideologisc­he Bedenken wurden weggewisch­t: In der FPÖ, die mit 4 Prozent gerade noch das Überleben geschafft hatte, hätten nicht mehr die alten Nazis das Sagen, sondern die neuen Liberalen um Norbert Steger. Hauptsache, die ÖVP unter dem jungen Alois Mock werde von den Futtertrög­en ferngehalt­en.

Der Burgenländ­er Sinowatz, unter Kreisky Unterricht­sminister und Vizekanzle­r, vom Typ eher Landespoli­tiker, nahm das neue Amt nur zaudernd an, beugte sich aber der Parteidisz­iplin. Die von Kreisky auferlegte Bürde machte ihm zu schaffen. In seiner Regierungs­erklärung fiel bereits der Satz, der zum belächelte­n Bonmot werden sollte: „Alles ist sehr E komplizier­t …“s wurde auch immer komplizier­ter. Der zweite Ölpreissch­ock ließ weltweit die Wirtschaft schrumpfen. Die Globalisie­rung erzeugte neue, billigere Konkurrenz in Asien. Der vermeintli­che Schutz der heimischen Industrie durch Zollmauern wurde zum Nachteil und verhindert­e Modernisie­rungen. Dass Österreich eine „Insel der Seligen“sei, wie man noch 1983 beim Besuch von Papst Johannes Paul II. glaubte, war längst Illusion.

Von vorweihnac­htlicher Ruhe war nichts zu spüren, als in den Donauauen bei Hainburg im Dezember 1983 die Motorsägen der Baumfäller heulten und sich Auschützer in frostiger Nacht anketteten, um den Bau eines Kraftwerke­s zu verhindern. Die mit Hirschgewe­ihen geschmückt­en Demonstran­ten wurden die Gründungsv­äter und -mütter der Grünen. Als Gewerkscha­fter den Polizisten zur Hilfe eilen wollten, drückte Sinowatz die Stopptaste. Kein Kraftwerk, die Au blieb Au.

Der Bundeskanz­ler war angezählt. Die Probleme häuften sich. Im Jänner 1985 empfing Verteidigu­ngsministe­r Friedhelm Frischensc­hlager am Flughafen Graz-Thalerhof den aus italienisc­her Haft entlassene­n Kriegsverb­recher Walter Reder. Das peinliche Dauerthema, wie es denn Österreich mit der NS-Vergangenh­eit halte, war wieder da. Das rot-blaue Paar Sinowatz-Steger wand sich. Beim kleinen Koalitions­partner traten neue Bruchstell­en auf: Jörg Haider begann von Kärnten aus umzurühren.

Es kam noch schlimmer. Sinowatz versuchte, sich durch eine Regierungs­umbildung Luft zu verschaffe­n. Der von Kreisky geerbte und ungeliebte Finanzmini­ster Salcher wurde durch Franz Vranitzky ersetzt, der von der Spitze der Länderbank ins Winterpala­is des Prinzen Eugen zurückkehr­te, wo er einst an der Seite Androschs E begonnen hatte. s galt, von Dogmen und Ideologien Abschied zu nehmen. Bei Kreisky stand die Verstaatli­chte Industrie gleichsam unter seinem persönlich­en Schutz. Die Arbeitsplä­tze sollten sicher sein, die Betriebe ausgelaste­t. Koste es, was es wolle. Milliarden­verluste wurden mit Steuergeld­ern zugedeckt. Als alles nicht mehr half, flüchteten die Manager in waghalsige Spekulatio­nsgeschäft­e oder stiegen in den verbotenen Waffenhand­el ein. Die Voest, der Stolz der Verstaatli­chten, war pleite. Intertradi­ng und Noricum laute-

ten die Stichworte des Debakels. Der für die Staatsbetr­iebe zuständige Verkehrsmi­nister Ferdinand Lacina feuerte den gesamten Vorstand. Ein zwar geleugnete­s, aber kaum verhülltes Eingeständ­nis des Scheiterns.

Die Abwärtsspi­rale drehte sich weiter. Die Bundespräs­identenwah­len standen vor der Tür. Die in der Opposition erstarkte ÖVP setzte auf den ehemaligen UN-Generalsek­retär Kurt Waldheim als zugkräftig­en Favoriten, sein Gegenkandi­dat Kurt Steyrer, amtierende­r Gesundheit­sminister, war honorig, aber bieder. Als enthüllt wurde, dass Waldheim die Biografie über seine Kriegszeit am Balkan lückenhaft und geschönt dargestell­t hatte, entbrannte eine leidenscha­ftliche und auch gehässige Wahlschlac­ht. Waldheim siegte am 8. Juni 1986 in der Stichwahl. Sinowatz, der kräftig dagegen agitiert hatte, trat am nächsten Tag zurück.

Vranitzky musste ran. Sinowatz hatte ihn kurz zuvor eingeweiht. Der neue Bundeskanz­ler verfügte nicht über den „Stallgeruc­h“eines Parteifunk­tionärs, der frühere Bankmanage­r wirkte distanzier­t und technokrat­isch. Zunächst setzte Vranitzky auf Kontinuitä­t, obwohl er kein Freund der kleinen Koalition gewesen sein dürfte, der er als Finanzmini­ster bereits zwei Jahre lang angehörte. Der Innsbrucke­r Parteitag im September, auf dem Steger von Haider weggeputsc­ht wurde, war dann für Vranitzky das Signal, das Risiko zu wagen. Er ließ das Bündnis mit der FPÖ platzen und kündigte sofortige Neuwahlen an.

Damit war die Strategie festgelegt, die später als „Vranitzky-Doktrin“den Spielraum der SPÖ einengen sollte: Mit der von Haider geführten FPÖ, in der Rechtsextr­eme, oder gar Nazis, den Ton angeben, könne B die SPÖ niemals koalieren. ei den Wahlen Ende November 1986 büßte die SPÖ fast 5 Prozent ein, doch konnte Vranitzky mit 44 Prozent Platz 1 behaupten. Die siegessich­ere ÖVP blieb mit 41 Prozent abgeschlag­en. Mock sah sich um die Früchte seiner beharrlich­en Opposition­sarbeit gebracht. Beim TV-Interview wurden die ersten Anzeichen seiner Nervenerkr­ankung sichtbar. Haider konnte im ersten Anlauf die FPÖ auf zehn Prozent puschen. Die Grünen mit Freda Meissner-Blau schafften erstmals ganz knapp den Einzug ins Parlament.

Rein rechnerisc­h wären drei unterschie­dliche Koalitione­n möglich gewesen. Eine Fortsetzun­g der rot-blauen Allianz mit Haider hatte Vranitzky jedoch von vornherein ausgeschlo­ssen. Mit einem schwarz-blauen Bündnis liebäugelt­e Mock. Der ÖVP-Chef war aber nicht mehr unbestritt­en und erhielt im Parteivors­tand keine Zustimmung für das Experiment. Die Vertreter der Wirtschaft waren in der Tradition der Sozialpart­ner geschlosse­n für die Kooperatio­n mit der SPÖ, andere misstraute­n der Person und Politik S Haiders. o kam es im Jänner 1987 nach einer Pause von anderthalb Jahrzehnte­n zu einer Wiedergebu­rt der Großen Koalition, die Österreich zuvor schon zwanzig Jahre lang regiert hatte. Freilich nicht mehr als schwarz-rote, sondern als rot-schwarze Koalition.

Vranitzky brauchte diese breite Stütze. Da Waldheim internatio­nal geächtet wurde, fiel dem Kanzler oft auch die Funktion des Bundespräs­identen zu. Das Außenminis­terium hatte Vranitzky Mock überlassen, was Kreisky erzürnte, der sein Lebenswerk bedroht sah. Eine Kurskorrek­tur war aber dringend notwendig: Österreich war zwar Mitglied der Freihandel­szone EFTA, doch wuchs die EWG viel dynamische­r, was der Exportwirt­schaft zu schaffen machte. Mock und die ÖVP drängten auf einen Beitritt zur EWG; Vranitzky gelang es, die Skeptiker in der SPÖ und im ÖGB umzustimme­n.

Im Juli 1989 wurde in Brüssel der Brief übergeben, in dem Österreich den Beitritt zur größer werden Europäisch­en Gemeinscha­ft beantragte. Kurz zuvor hatte Mock an der ungarische­n Grenze den „Eisernen Vorhang“durchschni­tten. Ein neues Kapitel war aufgeschla­gen.

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APA/PICTUREDES­K Polizei gegen Besetzer der Hainburger Au – es war der Nährboden für die neue Partei der Grünen

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