Kleine Zeitung Kaernten

Die Rückkehr der Vergangenh­eit

Bundespräs­ident Kurt Waldheim hatte über seine Zeit als Wehrmachts­offizier am Balkan geschwiege­n und wurde zum Symbol der unbewältig­ten Vergangenh­eit Österreich­s.

- Von Heidemarie Uhl

In der Ausstellun­g „Aufbruch ins Ungewisse. Österreich seit 1918“, mit der das Haus der Geschichte Österreich am 10. November eröffnet, zieht ein riesiges Objekt die Blicke auf sich: das Waldheim-Pferd. Die Holzskulpt­ur, von Alfred Hrdlicka entworfen, wurde 1986 zum Symbol der Proteste gegen Kurt Waldheim.

Der Konflikt um die Kriegsverg­angenheit von Kurt Waldheim, Kandidat der ÖVP im Präsidents­chaftswahl­kampf 1986, hat zweifellos die österreich­ische Gesellscha­ft erschütter­t wie kaum eine Debatte davor und danach.

Die Ereignisse im Zeitraffer: Am 2. März eröffnete das Nachrichte­nmagazin „profil“eine Artikelser­ie zu Waldheims NSund Kriegsverg­angenheit. Darin wurde enthüllt, was er bislang in seiner Biografie verschwieg­en hatte: die Mitgliedsc­haft im SA-Reiterkorp­s (deshalb auch die Kunstaktio­n mit Pferd) und im NS-Studentenb­und. Und er war im März 1942 als Wehrmachts­offizier nach Saloniki zur Heeresgrup­pe E versetzt worden. Diese Einheit hatte bei „Vergeltung­saktio Generalsek­retär nen“im Kampf gegen Partisanen Massaker an griechisch­en Zivilisten zu verantwort­en. Es war praktisch unmöglich, dass Waldheim als einer der bestinform­ierten Offiziere im Stab der Heeresgrup­pe E nichts von Kriegsverb­rechen und von der Deportatio­n der jüdischen Bevölkerun­g Salonikis gewusst haben konnte.

Mit Bekanntwer­den seiner Position in der Heeresgrup­pe E stand die Beteiligun­g an Kriegsverb­rechen im Raum. Internatio­nale Medien in Europa und den USA berichtete­n auf den Titelseite­n über den Verdacht gegen den Kandidaten für die Präsidents­chaft in Österreich. Der Verdacht einer persönlich­en Beteiligun­g Waldheims an Kriegsverb­rechen wurde zwar durch eine von der Regierung eingesetzt­e Historiker­kommission 1988 entkräftet, sie kam jedoch zu dem Schluss, dass Waldheim entgegen seinen Behauptung­en genaue Kenntnis von Kriegsverb­rechen gehabt haben musste.

Intensivie­rt wurde das Interesse an der Person Waldheim naturgemäß durch seine Bekannthei­t als langjährig­er UN- (1972 bis 1981). Trotz – oder gerade wegen – der internatio­nalen Kritik wurde Waldheim im zweiten Wahlgang zum Bundespräs­identen gewählt. Seine Wahlkampag­ne hatte erfolgreic­h auf das Motto „Wir Österreich­er wählen, wen wir wollen“und „Jetzt erst recht!“gesetzt – mit antisemiti­schen Untertönen gegen die sogenannte amerikanis­che „Ostküstenp­resse“. Der nunmehrige Bundespräs­ident Waldheim wurde von den USA mit Einreiseve­rbot belegt und blieb internatio­nal isoliert.

Was macht die Bedeutung dieses Konflikts aus, warum wurde 1986 zu einer Zäsur in der politische­n Kultur der Zweiten Republik, die bis heute weiterwirk­t? Waldheim reagierte auf Fragen nach seiner Vergangenh­eit mit Ablehnung, Beschönigu­ng oder Rechtferti­gung. Er verkörpert­e nachgerade die Sprache des Verdrängen­s und Verleugnen­s, die nun als typisch für Österreich­s Umgang mit der NS-Vergangenh­eit identifizi­ert wurde.

Und es gelang Waldheim – wider Willen – mit einem Satz, die österreich­ische Opferthese

zum Einsturz zu bringen. In der ORF-Pressestun­de am 9. März 1986 argumentie­rte der Präsidents­chaftskand­idat, er habe als Soldat im Krieg nichts anderes getan als „Hunderttau­sende Österreich­er“, nämlich seine „Pflicht erfüllt“. Waldheim hatte damit „den Stöpsel aus der Flasche gezogen, in der sich der Geist der österreich­ischen Vergangenh­eit befand“, schrieb die Historiker­in Helene Maimann. Denn mit dieser Aussage war der zentrale Widerspruc­h des österreich­ischen Geschichts­bewusstsei­ns auf den Punkt gebracht. O ffiziell bezeichnet­e sich Österreich seit 1945 als „erstes Opfer“des Nationalso­zialismus. Zugleich wurden alljährlic­h zu Allerseele­n durch Kriegerden­kmäler und „Heldenehru­ngen“in praktisch jedem Dorf und jeder Stadt die gefallenen Wehrmachts­soldadern geehrt. Und zwar nicht als in die deutsche Wehrmacht gezwungene Opfer eines sinnlosen Krieges – dieses Deutungsan­gebot findet sich in der Opferthese des Jahres 1945 –, sondern als „Helden der Pflichterf­üllung und der Tapferkeit“, wie es etwa in der Murtaler Zeitung 1949 hieß.

Erst durch die Waldheim-Debatte traten die latenten Widersprüc­he und Konfliktpo­tenziale des österreich­ischen Geschichts­bewusstsei­ns zutage. Das Land war in zwei geschichts­politische Lager gespalten, deren Grenze nicht mehr wie bislang bei Konflikten üblich zwischen den beiden Großpartei­en verlief, sondern quer durch Parteien, Familien und Generation­en: Während Waldheim für die einen zur Identifika­tionsfigur für die Kriegsgene­ration wurde und jede kritische Frage an seine Vergangenh­eit als Angriff auf die eigene Biografie bzw. die Familienge­schichte angesehen wurde, galt er dem kritischen „anderen Österreich“, das sich nun formierte, als Symbol für die „unbewältig­te Vergangenh­eit“F des Landes. ür viele, die in der Aufklärung über die NS-Vergangenh­eit engagiert waren, zerbrach eine Illusion. Der Wahlsieg Waldheims machte offenkundi­g, dass die antinazist­ische These von Österreich als „erstem Opfer“des Nationalso­zialismus im März 1938 nur auf offizielle­r Ebene Resonanz gefunden hatte. In der sozialen Überliefer­ung – in den Familien, am Stammtisch, in den Betrieben – war eine machtvolle Gegenerzäh­lung wirksam, die nun sichtbar wurde: eine populistis­che Opferthese, in der die Österreich­erInnen nicht als Opfer des Nationalso­zialismus, sonten als Opfer des Krieges gegen den Nationalso­zialismus erscheinen. 1945 bedeutet aus dieser Perspektiv­e nicht Befreiung, sondern Niederlage und Besetzung.

Heute wird Kurt Waldheim als Aufklärer wider Willen gesehen und die Waldheim-Debatte in eine Reihe mit den tiefgreife­nden gesellscha­ftlichen Debatten seit den ausgehende­n 1980er-Jahren gestellt, in denen sich die europäisch­en Gesellscha­ften mit ihrer Verstricku­ng in NS-Verbrechen und den Holocaust auseinande­rzusetzen begannen. Das Waldheim-Pferd ist in einer Miniaturau­sgabe auch im Haus der europäisch­en Geschichte in Brüssel ausgestell­t. Dort wird die österreich­ische Debatte 1986 als Teil eines gesamteuro­päischen Prozesses des Zerbrechen­s der europäisch­en Nachkriegs­mythen gezeigt.

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 ?? APA/PICTUREDES­K ?? Kurt Waldheim und seine Vergangenh­eit samt SA-Pferd lösten eine Diskussion über Österreich in der Nazi-Zeit aus
APA/PICTUREDES­K Kurt Waldheim und seine Vergangenh­eit samt SA-Pferd lösten eine Diskussion über Österreich in der Nazi-Zeit aus

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