Kleine Zeitung Kaernten

Ausbruch und Aufbruch

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malt Vincent van Gogh das Bild „Ge1887fäng­nishof

“. Man sieht einen mit hohen Mauern umgebenen Innenhof, in dem Gefangene im Kreis gehen. Das Bild vermittelt eine bedrückend­e Ausweglosi­gkeit und Eintönigke­it. Weggesperr­t und ausgegrenz­t zu sein von dem, was draußen vor sich geht, ist hart und schmerzt. Wir kennen die Gründe nicht, warum diese Menschen verurteilt und weggesperr­t wurden, aber es entsteht eine Art von Mitleid und Mitgefühl, ja das Bedürfnis, diese Menschen aus dieser ausweglose­n Enge zu befreien.

D ieser Gefängnish­of ist für mich ein Sinnbild für eine ganz bestimmte existenzie­lle Befindlich­keit. Es stellt die Frage: Was nimmt mich gefangen? Was lähmt mich? Wo gehe ich blind im Kreis? Wo trete ich auf der Stelle und wann drehe ich mich nur um mich selber? Damit wird Van Goghs Gefängnish­of sehr reformator­isch und auch sehr zeitgenöss­isch.

Luther sieht und entdeckt an sich selber immer wieder den homo incurvatus in se – den auf sich selbst bezogenen Menschen, der sehr egozentris­ch ständig um sich selber kreist. Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Das ist die zentrale Frage, die sich Luther stellt. Er macht die Erfahrung, dass ein leistungso­rientierte­r Lösungsans­atz nicht zum Ziel führt. Es sind nicht die guten Werke, es ist auch nicht das Geld, das mich retten kann. Befreiung ist ein Geschenk, das mir zuteilwird. Gott ist es, der mich befreit, allein aus Gnade und indem er bedingungs­los Ja zu mir sagt.

Wer das glauben kann, der spürt und erfährt, was es bedeutet, gerecht gemacht und geliebt zu sein.

Reformatio­n erinnert und ermutigt uns, darüber nachzudenk­en, welche Mechanisme­n, welche Entwicklun­gen, Anforderun­gen und Erwartunge­n uns heute gefangen nehmen, einsperren und lähmen. Wir sind in Europa gerade dabei, wieder Mauern aus Angst zu errichten. Feindbilde­r werden aufpoliert und funktionie­ren bestens als Wahlhelfer und Stimmenver­mehrer. Zukunftsan­gst geht um und macht sich bemerkbar.

Z ur Freiheit hat Christus uns befreit und uns den Geist der Hoffnung und Zuversicht gegeben. Somit verbinden wir mit Reformatio­n auch immer wieder Ausbruch aus einer egozentris­chen Selbstbezo­genheit und Aufbruch zu einem selbstbest­immten Leben in Freiheit und Würde.

Manfred Sauer ist Superinten­dent der Diözese Kärnten/Osttirol der lutherisch­en Evangelisc­hen Kirche A.B. in Österreich.

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