Demokratie und „Lügenpresse“
Mit dem Schlagwort „Lügenpresse“kann weltweit politisch gepunktet werden. Die Politiker, die an den Grundsätzen der Demokratie kratzen, wollen keine freie Presse, sondern eine solche, die sich nicht allzu weit von ihrer politischen Linie entfernt. Abweichende Meinungen sind dann meist „Lügenpresse“. Meinungsvielfalt ist nicht gefragt.
Die Demokratie lebt von der Meinungsvielfalt, die wiederum durch eine freie kritische Medienlandschaft garantiert wird, und zwar besser als durch die schwer kontrollierbaren sozialen Medien. Gerade Politiker müssen massive Kritik vertragen. Die österreichische Rechtsprechung war diesbezüglich ohnehin längere Zeit zurückhaltend. Erst nach wiederholtem Tadel seitens des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erfolgte ein Umschwung. So wurde z. B. zunächst der Herausgeber des „profil“, Peter Michael Lingens, wegen übler Nachrede verurteilt, da er dem damaligen Bundeskanzler Kreisky „übelsten Opportunismus und unmoralisches sowie würdeloses Verhalten“vorgehalten hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte war anderer Ansicht, weil Kreisky zuvor die Aufdeckung der SSVergangenheit von Friedrich Peter durch Simon Wiesenthal als „politische Mafia“bezeichnet hatte. Die Worte Lingens wären in Bezug auf die Äußerungen Kreiskys über Wiesenthal eine zulässige Kritik und außerdem müssten Politiker eine größere Kritiktoleranz zeigen.
E s ist nun auch in Österreich herrschende Meinung, dass in der politischen Auseinandersetzung über Tatsachen und Äußerungen die Kritik verletzen, schockieren und provozieren darf. Die Demokratie verlangt umfangreiche und unter Umständen auch den Ruf schädigende Informationen über das politische Geschehen. Dazu sind insbesondere die kritischen Medien berufen. Diesem in jede Richtung gehenden Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit kann eine Presse, die der Regierung – in welcher Form auch immer – verpflichtet ist, nur schwer nachkommen.
war Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Graz, derzeit Honorarprofessor an der Karl-Franzens-Universität
Die Politiker, die an den Grundsätzen der Demokratie kratzen, wollen keine freie Presse. Meinungsvielfalt ist nicht gefragt.