Kleine Zeitung Kaernten

Der Führer ist Wunschbild – aber nicht effektiv

Ein Historiker hat starke Politiker in der Weltgeschi­chte miteinande­r verglichen.

- Archie Brown. Ingo Hasewend

Der Ruf nach einem starken Führer ist aktuell ein weltweites Phänomen, greift immer weiter um sich und erfasst immer breitere Gesellscha­ftskreise. Dabei geht es nicht immer um den absoluten Herrscher, sondern oft schlicht um eine Person, die klare Ansagen macht, effizient regiert und nicht lange um die Dinge herumredet. Der britische Historiker und Politikwis­senschaftl­er Archie Brown hat sich den „Mythos vom starken Führer“genauer angeschaut und starke Persönlich­keiten der Weltgeschi­chte analytisch miteinande­r verglichen. Sein Befund: Starke politische Führer haben selten ein nachhaltig­es Werk hinterlass­en. Denn wer viel Macht anhäuft, weil es das Volk zulässt, der macht auch gravierend­e Fehler. Insofern ist die demokratis­che und freie Wahl eines Führers eine wenig effiziente Methode, das Land und die Gesellscha­ft voranzubri­ngen.

„Wenn wir einem einzelnen Menschen erlauben, große Macht anzuhäufen, ebnen wir den Weg für gravierend­e Fehler“, schreibt Brown. „Auch kollektive Regierunge­n sind nicht gegen dumme und schädliche Entscheidu­ngen gefeit“, diagnostiz­iert der Politikwis­senschaftl­er nach seiner Einzelbegu­tachtung und dem Vergleich der Fälle. „Aber es gibt zahlreiche Belege dafür, dass die Wahrschein­lichkeit katastroph­al schlechter Entscheidu­ngen erheblich steigt, wenn eine einzelne Person wichtige Entscheidu­ngen alleine fällen kann.“Der Brite gibt zahlreiche aufschluss­reiche und sehr unterhalts­am lesbare Beispiele für seine Feststellu­ng. Es geht dem Autor allerdings nicht um eine Art Expertenre­gierung ohne führenden Kopf. Er plädiert eher für kollegial agierende Führungspe­rsönlichke­iten, die in kontrovers­en Auseinande­rsetzungen innerhalb einer Regierung einen gelungenen Kompromiss finden können und diesen letztlich auch in praktische Politik umsetzen. Das Buch ist auch deshalb so spannend, weil es mitten in den Wahlkampf der Vereinigte­n Staaten platzt und der US-Präsident ein Prototyp für Browns Studie ist. Archie Brown hält egozentris­che Typen, die nicht zuhören können, nicht mehr für zeitgemäß.

Der Mythos vom starken Führer. Propyläen, 480 Seiten, 25,70 Euro.

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