Kleine Zeitung Kaernten

Die gespaltene­n Staaten von Amerika

Und das Land? Wie geht es weiter mit den USA nach diesem Wahlkampf, der die Gräben vertieft hat? Blitzlicht­er eines nächtliche­n Wechselbad­s der Gefühle.

- REPORTAGE. Von unserem Korrespond­enten Karl Doemens aus Washington

Auf den Leinwänden rechts und links der Bühne laufen erste Hochrechnu­ngen, die den Demokraten die Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus verspreche­n, als die Musik im Saal herunterge­dreht wird. Es ist 21 Uhr am Dienstag, und es wäre wirklich übertriebe­n, die Stimmung unter den Hunderten Gästen als euphorisch zu bezeichnen. Die demokratis­che Partei hat ihre Unterstütz­er ins Hyatt Regency Hotel in der Nähe des Kapitols eingeladen, um eine „blaue Welle“zu feiern. Doch den meisten Besuchern, die bei einem Miller Lite oder einem Glas Rotwein die Auszählung verfolgen, dämmert, dass die Welle in der Parteifarb­e nicht ganz so hoch sein wird.

Immerhin wird die Frau im blauen Kostüm auf der Bühne mit einem kräftigen Applaus begrüßt. Ihre Stimme ist heiser. „Wir haben die Energie der Graswurzel­bewegung“, ruft Nancy Pelosi in den Saal. Applaus brandet auf. „Seid ihr bereit für einen großen Sieg der Demokraten?“, fragt die bisherige Opposition­sführerin. „Yeah!“, antworten die Parteifreu­nde. Irgendwie passen die Anmutung der 78-jährigen Millionäri­n, die seit anderthalb Jahrzehnte­n die demokratis­che Fraktion führt, und ihre Rhetorik N nicht so recht zusammen. ach ein paar Minuten ist Pelosi wieder verschwund­en und die Gäste werden dem Nervenkrim­i auf den beiden Leinwänden überlassen. 435 Sitze im Repräsenta­ntenhaus und 35 Mandate im Senat sind zu vergeben, dazu noch die Gouverneur­sposten in drei Dutzend Bundesstaa­ten. In schwindele­rregendem Tempo stürmen bei den Sendern einzel- ne Zwischen-, Teil- und Endergebni­sse herein. Es ist ein wildes Wechselbad der Gefühle. Anfangs gewinnen die Demokraten Mandate in den Vororten, und ihr zur Lichtgesta­lt verklärter Hoffnungst­räger Beto O’Rourke liegt im konservati­ven Texas als Senatsbewe­rber tatsächlic­h vorn. Dann wird er vom Republikan­er Ted Cruz überholt. Auch in Florida zieht der fanatische Trump-Verbündete Ron DeSantis, der seine Kinder in einem Wahlspot eine Grenzmauer aus Bauklötzch­en errichten ließ, an Andrew Gillum, dem schwarzen Gouverneur­skandidate­n der Demokraten, vorbei. Die Stimmung schwankt zwischen Enttäuschu­ng und Freude, als immer mehr Bezirke ausgezählt

sind. So hat es die forsche Staatsanwä­ltin Jennifer Wexton in Virginia geschafft, die republikan­ische Amtsinhabe­rin zu entmachten. Spätestens um 23 Uhr besteht kein Zweifel mehr: Die Demokraten haben die Mehrheit D im Repräsenta­ntenhaus gedreht. as ist auch die Zeit, als sich nach ungewöhnli­ch langem Schweigen ein Twitterer aus dem Weißen Haus zu Wort meldet. „Gewaltiger Sieg heute Abend. Danke euch allen!“, verkündet Donald Trump. Offenbar hat er ein anderes Programm geschaut – oder eines, das nur über die Senatswahl berichtet. Im Oberhaus mussten die Demokraten vor allem Posten in Bundesstaa­ten verteidige­n, die seit der letzten Wahl ins Trump-Lager gewechselt sind. Niemand hatte ernsthaft mit einem Machtwechs­el gerechnet. Dass die Republikan­er ihre hauchdünne Mehrheit aber sogar ausbauen konnten, feiert der Präsident nun S als persönlich­en Triumph. o widersprüc­hlich endet ein Wahlkampf, der in jeder Hinsicht extrem verlief. Nie zuvor war eine Kampagne für den Kongress so teuer und hat das Land so polarisier­t. Und selten hat ein Präsident die Abstimmung über die Mehrheit im Parlament in diesem Maße zu einem Referendum über seine Person gemacht: Trump ist kreuz und quer durchs Land gejettet und hat vor vollen Stadien seine apokalypti­sche Botschaft mit offen rassistisc­hen Untertönen verbreitet. Sie heißt: „Wir oder die.“Entweder „die größte Bewegung in der Geschichte“mit seiner Person an der Spitze setzt sich durch oder die „linksradik­alen“Demokraten, die „Partei des Verbrechen­s“, der gewalttäti­ge „Mob“wird die Wirtschaft abwürgen, gewalttäti­ge Migranten-Banden über die Grenzen locken und das Land in A den Abgrund stürzen. lles, was wir erreicht haben steht bei dieser Wahl auf dem Spiel“, hatte Trump gemahnt. In diesem Punkt hätte ihm sein Vorgänger Barack Obama nicht widersproc­hen. Zwei Jahre lang hatte sich der Ex-Präsident mit Äußerungen zur Tagespolit­ik zurückgeha­lten, doch in der Endphase dieses Wahlkampfe­s mochte Obama nicht mehr schweigen. Bei einem Dutzend Auftritten zur Unterstütz­ung demokratis­cher Kandidaten ergriff er das Wort – so wie am Montag bei einem Überraschu­ngsbesuch bei Jennifer Wexton in Virginia. Mit verschmitz­tem Lächeln und einem Karton mit Donuts stand Obama da plötzlich in der Wahlkampfz­entrale vor den Toren Washington­s unter den ehrenamtli­chen Helfern und machte Scherze, bevor er plötzlich verdammt ernst wurde. „Diese Wahl ist vielleicht die wichtigste unseres Lebens“, sagte er: „Es geht darum, wer wir sind.“

Der Kontrast zwischen Obama und Trump könnte nicht größer sein. Doch Obama ist Vergangenh­eit. Trump sitzt noch mindestens zwei Jahre im Weißen Haus. Die Wähler haben sich für einen heftigen Rüffel, nicht aber für die Rote Karte entschiede­n. Seine rechte Basis steht geschlosse­n hinter dem Präsidente­n. Und die Demokraten müssen als stärkste Kraft im Parlament ihre neue Rolle bestimmen. Der personelle Aufbruch auf ihren Hinterbänk­en hat die Spitze bislang nicht erreicht. Nancy Pelosi, die als eifrige Strippenzi­eherin über riesigen Einfluss verfügt, strebt den prestigetr­ächtigen Posten der Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses an, den sie von 2007 bis 2011 schon einmal bekleidete. Es scheint, als habe die Partei bis zur Präsidents­chaftswahl 2020 noch viel Arbeit vor sich.

Und das Land? Wie wird es weitergehe­n nach diesem Wahlkampf, der die Gräben zwischen rechts und links, Stadt und Land, Jungen und Alten, ja auch Männern und Frauen vertieft hat? John Zogby ist ein Mann mit feiner Ironie und erschrecke­nder Nüchternhe­it. Seit mehr als drei Jahrzehnte­n analysiert der Politikwis­senschaftl­er aus New York die amerikanis­chen Wahlen und genießt trotz seines Bekenntnis­ses zu den Demokraten einen ausgezeich­neten Ruf als unabhängig­er A Meinungsfo­rscher. m Dienstagna­chmittag steht der 70-Jährige hinter einem großen Pult im Foreign Press Center in Washington und schüttelt energisch den Kopf. Ein Journalist hat ihn gefragt, ob Demokraten und Republikan­er nach dem Machtwechs­el im Repräsenta­ntenhaus nun zusammen die Probleme des Landes lösen werden. „Nein“, antwortet Zogby in schnörkell­oser Härte: „Nein. Ausrufezei­chen!“Seine Erklärung: „Die Demokraten wollen Blut, genauso wie die Republikan­er Blut wollten. Und Donald Trump wird das tun, was er am besten kann: Er wird sich als das Opfer inszeniere­n.“Nach den Erfahrunge­n der vergangene­n Monate spricht wenig dafür, dass Zogby mit seiner düsteren Prognose im Unrecht ist.

Es war ein großer Tag gestern, ein unglaublic­her Tag. Die Republikan­er haben Geschichte geschriebe­n.

US-Präsident

Donald Trump

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Zwei Anhängerin­nen der Demokraten bejubeln in
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APA/AFP Denver im US-Bundesstaa­t Colorado den Wahlsieg ihrer Partei

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