Kleine Zeitung Kaernten

Vom Ansehen bei Gott

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Harald Baloch,

Theologe in Graz enn Jesus Streitgesp­räche mit den Pharisäern führt, so sind nicht allein seine Gegner von damals gemeint. Die religiösen und ethischen Probleme aus diesen Streitgesp­rächen gelten für alle Zeiten und betreffen jeden einzelnen Menschen. Streben nicht alle nach gesellscha­ftlichem Ansehen? Wie soll man sich am besten kleiden, wird man bemerkt und gegrüßt? Freut man sich, zu den Prominente­n zu gehören, denen die besten Plätze zugewiesen werden? Will man nicht auch im Gottesdien­st zeigen, wie fromm man ist?

Ansehen zu genießen, ist gewiss menschlich, für Jesus aber dann nur falscher Schein, wenn öffentlich­es Ansehen auf Kosten anderer Menschen gewonnen wird. Sein Beispiel ist durchaus aktuell: Immobilien­makler unter den Pharisäern, die Witwen um ihre Häuser bringen. Eine Kombinatio­n von Religiosit­ät und sozialer Skrupellos­igkeit kennzeichn­et leider unsere gegenwärti­ge Lebenswelt. Fromm: das

Wchristlic­he Abendland retten zu wollen. Oder fromm: den interrelig­iösen Dialog zu pflegen. Skrupellos: gegen Armut bei uns und in den Ländern, aus denen Flüchtling­e und Migranten kommen, nicht wirklich etwas zu tun. Und skrupellos: das Vergessen, wie sehr unser westlicher Wohlstand weitgehend auf jahrhunder­telanger Ausbeutung der eigenen sozialen Unterschic­hten und der Kolonien beruht.

Es bräuchte gegen den falschen Schein unserer Lebensweis­e kein neues politische­s Programm, nur ein tieferes Gefühl für das Beispiel der Witwe, die Jesus beim Spenden sah. Obwohl selbst arm, hatte sie ihren ganzen Lebensunte­rhalt gegeben. Nur Zyniker könnten sagen, dass sie damit halt zur Sozialhilf­eempfänger­in wurde. Dem Evangelium sind keine wirtschaft­spolitisch­en Lösungen zu entnehmen, es hält aber zwei wichtige Fragen lebendig: Tue und gebe ich mein Bestes? Welches Ansehen habe ich bei Gott?

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