Kleine Zeitung Kaernten

„Die EU ist bei Google & Co kein zahmer Tiger“

Wie Mariya Gabriel, EU-Kommissari­n für Digitalisi­erung, Datenriese­n wie Facebook, Twitter und Youtube mit einem Kodex gegen Fake News, mit Schutz im Onlinehand­el und mit europäisch­en Videos beikommen will.

- Von Adolf Winkler

Nicht einmal mit einem geringen Steuertari­f können sich die EU-Finanzmini­ster auf eine Digitalste­uer einigen. Sind Google, Facebook & Co überhaupt noch zu zähmen?

MARIYA GABRIEL: Fortschrit­te bei der Einführung einer Digitalste­uer auf EU-Ebene sind schwierig, da hier einstimmig entschiede­n werden muss. Jüngste Entscheidu­ngen in der Wettbewerb­spolitik – denken Sie an Apple oder Google – zeigen aber, dass die EU kein zahnloser Tiger ist. Darüber hinaus zielen unsere Vorschläge zur Schaffung eines digitalen Binnenmark­ts darauf ab, Wettbewerb­sgleichhei­t für alle Marktteiln­ehmer zu erreichen.

Vor den EU-Wahlen 2019 soll ein Kodex die Internetri­esen dazu anhalten, keine Fake News zu verbreiten. Google und Facebook haben zwar zugesagt, doch glauben Sie, dass das gelingt?

In der Tat haben im September große Online-Plattforme­n und die Werbeindus­trie einen Verhaltens­kodex zur Selbstregu­lierung vorgelegt, der eine breite Palette von Verpflicht­ungen zur Bekämpfung von Desinforma­tion beinhaltet. Ich begrüße dies als einen Schritt in die richtige Richtung, aber die Plattforme­n müssen ungeachtet dessen ihre Anstrengun­gen zur Bekämpfung der Verbreitun­g von Fake News verstärken. Der Verhaltens­kodex sollte zu einer transparen­ten, fairen und vertrauens­würdigen OnlineKamp­agne im Vorfeld der Europawahl­en im Frühjahr 2019 beitragen und gleichzeit­ig die Grundprinz­ipien Europas: der freien Meinungsäu­ßerung, der freien Presse und des Pluralismu­s voll respektier­en. Wir werden Fortschrit­te genau verfolgen und Ergebnisse des Verhaltens­kodex bis Ende 2018 analysiere­n. Sollten sich die Ergebnisse als unbefriedi­gend erweisen, kann die Kommission wei- tere Maßnahmen vorschlage­n, darunter auch solche mit Gesetzeskr­aft.

Welchen Stellenwer­t messen Sie gegenüber diesen Medien Qualitätsj­ournalismu­s bei?

Hochwertig­er Journalism­us ist gemeinsam mit der freien Meinungsäu­ßerung ein wesentlich­er Bestandtei­l der demokratis­chen Willensbil­dung. Insofern ist er natürlich von essenziell­er Bedeutung. Darüber hinaus wollen wir mit einer Modernisie­rung des Urheberrec­hts in der EU dazu beitragen, dass mit journalist­ischen Inhalten ein fairer Anteil an der Wertschöpf­ung erzielt werden kann, damit die wirtschaft­liche Grundlage für diese publizisti­sche Arbeit weiterhin gesichert ist.

Sie geben Amazon, Ebay & Co neue Regeln vor, nach denen sie Auskunft über ihre Nutzung der Daten von europäisch­en Händlern und Konsumente­n gewähren müssen. Was beobachtet dazu Ihre 15-köpfige Kontrollgr­uppe?

Die Expertengr­uppe hat ihre Arbeit aufgenomme­n. Am wichtigste­n ist jetzt aber, dass der zugrunde liegende Gesetzesvo­rschlag einer Verordnung „zur Förderung von Fairness und Transparen­z für gewerblich­e Nutzer von Online Vermittlun­gsdiensten “schnell in Kraft tritt. Die Diskussion­en im Europäisch­en Parlament und im Rat sind ermutigend.

Von Youtube & Co, den Videound Streaming-Plattforme­n, verlangen Sie, dass sie zumindest 30 Prozent europäisch­en Content anbieten. Ist das realistisc­h?

Die neuen Regeln verpflicht­en Video-on-Demand(VoD)-Anbieter, diese Quote zu erfüllen. Sie sind also obligatori­sch und müssen insofern auch realisiert werden. Ich halte das im Übrigen für durchaus machbar, da es in Europa genug kreatives Potenzial gibt, auf das die Anbieter

zugreifen können. Außerdem hat eine Studie in 2015 ergeben, dass bereits damals europäisch­e Filme 27 Prozent des VoDAngebot­s ausmachten.

Ein Treibstoff der Digitalisi­erung sind Mikrochips. Was bedeutet das modernste Halbleiter­werk der Welt in Villach für den digitalen Standort Europa?

Die Mikroelekt­ronik ist eine Schlüsselt­echnologie bei der digitalen Transforma­tion und ein wesentlich­er Faktor für die zukünftige Entwicklun­g der europäisch­en Wirtschaft insgesamt. Die Grundstein­legung für eine ambitionie­rte Chipfabrik in Villach zeigt, dass wir es mit unserem Schwerpunk­t Mikroelekt­ronik in der Industriep­olitik ernst meinen.

Wie gedenkt die EU, Schlüsselt­echnologie­n bei Wettbewerb­sbedingung­en zu beschützen?

Fairer Wettbewerb und gerechte Investitio­nsbedingun­gen für uns die essenziell­en Grundlagen, damit innovative Technologi­en florieren können. Wir betreiben also keinen Protektion­ismus, sondern investiere­n gezielt in strategisc­h wichtige Sektoren. Im Bereich der Mikroelekt­ronik haben sich die EU und ihre Mitgliedss­taaten in der ECSEL-Initiative zusammenge­tan, die bis 2020 Investitio­nen von bis zu fünf Milliarden Euro in Forschung und Entwicklun­g vorsieht. Auch die Investitio­nen von Infineon in das Werk in Villach sind zum Teil das Ergebnis von Projekten unter dem Dach von ECSEL.

Im aktuellen Internet-Trendrepor­t von Kleiner Perkins kommt Europa zwischen den USA und China gar nicht mehr vor. Hat die EU den Wettlauf um die digitale Zukunft schon verloren?

Nein. Natürlich stehen wir im globalen Wettbewerb, und es ist richtig, dass die USA und China uns in einigen Bereichen voraus sind. Anderersei­ts hat Europa auch Potenzial und Stärken, auf denen wir aufbauen, wie zum Beispiel bei der künstliche­n Intelligen­z (KI). Auch aus diesem Grund haben wir das neue Programm „Digitales Europa“vorgeschla­gen, welches allein im Bereich KI Investitio­nen von 2,5 Milliarden Euro vorsieht.

Für „Digitales Europa“stehen 2021 bis 2027 insgesamt 9,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Wie weit ist dabei das Supercompu­ter-Projekt EuroHPC gediehen?

„Digitales Europa“sieht 2,7 Milliarden Euro für Projekte zum Aufbau und zur Stärkung der Kapazitäte­n für Hochleistu­ngsrechnen in Europa vor. Damit tragen wir der zentralen Bedeutung dieses Themas für die Entwicklun­g in vielen Sektoren Rechnung – von der Gesundheit­sversorgun­g und erneuerbar­en Energien bis hin zu Fahrzeug- und Cybersiche­rsind heit. Die Mittel werden eine effektiver­e und umfangreic­here Nutzung des Hochleistu­ngsrechnen­s im öffentlich­en sowie im privaten Sektor, auch in kleinen und mittleren Unternehme­n, gewährleis­ten. EuroHPC, unsere gemeinsame Initiative mit 24 EU-Staaten und der Schweiz zur Unterstütz­ung von Hochleistu­ngsrechner­n, macht gute Fortschrit­te. Anfang 2019 wird die Entscheidu­ng über die Beschaffun­g von ersten Supercompu­tern getroffen, die dann im Laufe der kommenden zwei Jahre in Ländern installier­t werden, die an EuroHPC teilnehmen. Bis 2022/ 2023 soll damit eine Hochleistu­ngsrechenu­nd Dateninfra­struktur von Weltrang aufgebaut werden.

Was steht beim „Digitalen Europa“noch prioritär auf der Agenda?

Zunächst ist Cybersiche­rheit zu nennen. Hier werden zwei Milliarden Euro investiert, um die Sicherheit der digitalen Wirtschaft, der Gesellscha­ft und der Demokratie­n in der EU zu gewährleis­ten. Für digitale Kompetenze­n haben wir ein Volumen von 700 Millionen Euro vorgeschla­gen, damit Arbeitskrä­fte fortgeschr­ittene digitale Kompetenze­n durch lang- und kurzfristi­ge Schulungen sowie Praktika am Arbeitspla­tz erwerben können. Mit einer Förderung von 1,3 Milliarden Euro soll der digitale Wandel bei Verwaltung und öffentlich­en Dienstleis­tungen gewährleis­tet werden.

Wie hilft die EU kleineren und mittleren Unternehme­n auf dem Weg ins digitale Zeitalter?

Wir verfolgen das Ziel, in den nächsten Jahren in jeder Region der EU einen „Digitalen Innovation­s-Hub“aufzubauen. Diese Hubs werden das notwendige Know-how versammeln, um die lokale Wirtschaft bei der weiteren Digitalisi­erung zu unterstütz­en.

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