Der Kampf gegen Dämonen
Paris war keine formelhafte Gedenkstunde: Macron hat den Egomanen von heute kritisch einen Spiegel vorgehalten und einen optimistischen Zukunftsentwurf entgegengesetzt.
Klar, es sah nicht besonders zeremoniell aus, wie sie da mit Regenschirmen in der Hand über die ChampsÉlysées spazierten: Rund 70 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, die zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs gedachten. Und doch war es gerade die nichtmartialische Entspanntheit, die das Besondere des gemeinsamen Marsches ausmachte. Die Beschirmten stehen für Nationen. Dass kein Krieg herrscht – wir nehmen es für so alltäglich wie den Regen. Dass die vermeintliche Normalität eine brüchige ist, beweisen der Anlass des Spaziergangs und der Blick in die Ostukraine, nach Syrien oder in den Jemen – nur wenige Flugstunden von hier entfernt.
Kein gutes Bild gaben ausgerechnet jene ab, die in den vergangenen Jahren ohnehin eher durchs Spalten oder Kriegführen auffielen: US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Putin zogen es vor, nicht gemeinsam mit den anderen unterwegs zu sein, sondern in ihren eigenen Limousinen vorzufahren – man muss sich ja schützen. Die Briten wiederum, im Ersten Weltkrieg noch Ver- bündete Frankreichs, waren gar nicht in Paris dabei – man feierte für sich auf der Insel. Die Trennung von der EU, so scheint es, ist trotz Verhandlungsstillstand voll im Gange.
Und trotzdem war dieser Friedensgipfel mehr als leere Symbolik. Emmanuel Macron hielt unterm Triumphbogen keine Sonntagsrede. Auch wenn er Trump nicht beim Namen nannte, erinnerte der Gastgeber den „America First“-Präsidenten und andere Vertreter seiner Zunft nicht nur an damals, sondern hielt ihnen einen Spiegel des Heute vor die Nase. Die Spuren dieses Kriegs, meinte Macron, verblassen nicht, die alten Dämonen steigen wieder auf. „Wer sagt ‚unsere Interessen zuerst, was auch immer mit den anderen passiert‘, radiert das Kostbarste aus, was eine Nation haben kann, was sie leben lässt, was sie groß macht und was am wichtigsten ist: ihre
moralischen Werte“, sagte Macron. Es geht uns heute – gerade in der westlichen Welt – nicht so schlecht, dass wir auf Kosten anderer um unser Überleben kämpfen müssten. Nein, wir haben nicht das Recht, Ressentiments gegen andere zu schüren und um jeden Preis unseren eigenen Vorteil durchzusetzen. Dass sich Macron nicht aufs Warnen beschränkte, unterscheidet seine Analyse von anderen: Den Dämonen stellt er entschlossenen Optimismus entgegen. Wenn wir es möchten, kann unsere Welt am Beginn einer neuen – einer besseren Ära – stehen, meint der französische Präsident. Das mag man pathetisch finden oder naiv, und doch bleibt die Frage: Warum eigentlich nicht?
Die Kriegsgegner von einst, Frankreich und Deutschland, sind Beweis dafür, was möglich ist. Ihre heutige Nähe und Stabilität, der hohe Lebensstandard sind ihnen nicht in den Schoß gefallen. All das kam nicht von Hetzreden über den anderen; friedliches Zusammenleben der Gattung Mensch braucht aktives Bemühen. Bei Staaten und Völkern ist das nicht anders.