Kleine Zeitung Kaernten

„Wir müssen notfalls auch Drohkuliss­en aufbauen“

Der Österreich­er Gabriel Felbermayr leitet seit März 2019 das renommiert­e Institut für Weltwirtsc­haft in Kiel. Der Außenhande­lsexperte sieht in den aktuellen Handelskon­flikten Chancen.

- INTERVIEW. Von Claudia Haase

Auch wenn sich eine gewisse Entspannun­g abzeichnet, schwelen die Handelskon­flikte weiter. Wie viel Wachstum kosten uns die Auseinande­rsetzungen schon jetzt?

GABRIEL FELBERMAYR:

Die Effekte sind für uns noch überschaub­ar, solange es nicht zu einer Eskalation EU und USA kommt. Danach sieht es jetzt nicht aus, trotzdem werden die Wachstumsp­rognosen überall nach unten revidiert. Davon ist aber nur ein Teil auf die handelspol­itischen Risiken zurückzufü­hren.

Zwischen den USA und der EU bahnten sich zuletzt Gespräche über ein Handelsabk­ommen an. War es ein gutes Zeichen, dass die USA mit Mexiko und Kanada ein runderneut­es NAFTAAbkom­men vereinbart haben? Dass NAFTA im Wesentlich­en weiter Bestand hat, ist eine gute Nachricht gewesen. Die Neuauflage enthält neue Elemente, die die Amerikaner schon unter Obama für das transpazif­ische Abkommen verhandelt haben. Es enthält aber auch Verschärfu­ngen im Automobilb­ereich, die für Kanada und Mexiko schwer zu schlucken gewesen sein mussten. Da kann schon noch einiges kommen bei einem Importvolu­men der USA von etwa 510 Milliarden Dollar. Davon ist knapp die Hälfte mit Zöllen belastet. Zusätzlich zu den bisherigen Paketen gibt es noch Produkte mit einem Volumen von 267 Milliarden Dollar, für die Trump auch noch Zölle verhängen könnte. Die Chinesen haben mit Importen von ungefähr 120 Milliarden Dollar viel weniger Spielraum, weil 50 Milliarden davon bereits mit 25 % belastet sind. Weitere 60 mit 5 bis 10 %, wobei diese eventuell schlimmste­nfalls sogar mit 70 oder 80 % belastet werden könnten. Dann geht die Munition der Chinesen langsam aus.

Grundsätzl­ich ist das Arsenal dann noch lange nicht erschöpft. China könnte bei der Abwicklung von Handelsges­chäften Sand ins Getriebe streuen, Zollabfert­igungen verzö- gern oder Exporte behindern – vor allem von wichtigen Mineralien wie seltenen Erden, sie könnten den Wechselkur­s manipulier­en. Was sie auch bisher immer wieder machen ist Staatsanle­ihen verkaufen, immerhin hält China noch acht Prozent der gesamten USStaatssc­huld. Wenn die Chinesen beginnen abzuverkau­fen, dann rumpelt es.

Um die Eskalation seitens der USA zu erklären, zitieren Sie gern aus der Spieltheor­ie.

Wir wollen ja Struktur erkennen in dem, was da vorgeht.

Also, wer einfach glaubt, der Trump spinnt, denkt zu kurz?

Das behauptet längst keiner mehr. Er spinnt vielleicht in dem Sinn, dass einige seiner Ziele unsinnig sind. Akzeptiert man, dass er diese gewisse Verrückthe­it hat, dann kann man schon einiges verstehen.

Was sollte man verstehen?

Wir haben ein Grundprobl­em mit dem Welthandel. Die Amerikaner und die Europäisch­e Union haben ihre Zölle sehr weit abgesenkt. Das bedeutet, dass die Verhandlun­gsposition, wie man sie sich vorstellt – Du gibst ein Stück nach, ich gebe ein Stück nach – nicht funktionie­rt. Die Amerikaner haben 2,5 Prozent Zoll. Wenn die Chinesen 2,5 Prozentpun­kte locker machen auf 22,5 Prozent, ändert sich nichts. Das ist eine Ausgangsla­ge, in der keine Bewegung möglich war.

Das heißt, der Ablauf, den wir gerade sehen, ist nur logisch? Die merkantili­stische Logik ist, ich mache meinen Markt auf, wenn Du Deinen aufmachst. Das gilt auch bei der Frage nach Investitio­nen. Insofern ist es nachvollzi­ehbar, dass Trump sagt, ich muss aus dem Status quo, der WTO raus, die eben die 2,5 Prozent festgeschr­ieben hat. Zumindest brauche ich eine starke Drohgebärd­e. Das ist sehr martialisc­h, aber eben aus der Spieltheor­ie erklärbar, weil wir in einer Pattsituat­ion sind.

Ist die WTO also praktisch tot? Die ist nie richtig lebendig geworden, weil die geplanten Folgerunde­n und Modernisie­rungen nicht erfolgt sind. Sie hat keine einzige Handelsrun­de erfolgreic­h über den Tisch gebracht. Erfolgreic­h war sie im Verteidige­n des Regelwerks.

Was kommt als Nächstes: Sitzen bald alle an einem Tisch? Positiv ist, dass sich die Chinesen nur in einem bescheiden­en Ausmaß gewehrt haben. Auch die Reaktion Europas mit Gegenzölle­n war richtig, damit die höheren Zölle auf Autos kein Griff in unsere Taschen werden.

Ist der Handelskri­eg Ausdruck der Angst vor dem Ende der jahrzehnte­langen Vormachtst­ellung der USA?

Nicht direkt, schon Barack Obama hatte dasselbe Problem, wie man die Vormachtst­ellung nicht kampflos hergibt und China eingrenzen kann. Wenn der Handelskon­flikt am Ende positiv für die USA ausfallen kann, dann hat das zwei Aspekte: China zur Marktöffnu­ng zu bringen und außerdem eine Zollredukt­ion. Das wäre nicht nur ein politische­r, sondern auch ein wirtschaft­licher Erfolg, von dem wir auch in Europa profitiere­n könnten.

Wer wird die Welt stärker verändern: China oder die USA? China. Die schaffen nachhaltig­e Tatsachen, wenn man sich allein das Projekt Seidenstra­ße um 300 Milliarden Dollar ansieht. Vom Gelben Meer nach Duisburg, Nürnberg oder Parndorf, das wird so beständig sein, wie die Eisenbahn, die die britischen Kolonialhe­rren in Indien gebaut haben. Dagegen sind Tweets und Zölle heiße Luft.

In Deutschlan­d gibt es die Idee, einen Fonds einzuricht­en, mit dessen Hilfe sensible Industrie gegen den Verkauf an chinesisch­e Investoren geschützt werden soll. Ist das sinnvoll? Unsere markt- und sozialwirt­schaftlich­en Systeme sind vom Staatskapi­talismus Chinas viel stärker herausgefo­rdert als von Zolldebatt­en. China will wieder auf einen angemessen­en Anteil an der Weltwirtsc­haftsleist­ung. China hatte über die Jahrtausen­de immer ein Drittel bis ein Viertel der Weltbevölk­erung und hatte mit seinem hohen Zivilisati­onsniveau einen noch höheren Anteil am Weltwirtsc­haftsprodu­kt. 2045 wird China wieder 25 Prozent an der Weltwirtsc­haftsleist­ung haben. In den schlimmste­n Zeiten Anfang der 1980er-Jahre lag er gerade einmal bei einem Prozent.

Was sollte Europa tun?

Wir brauchen das strategisc­he Ziel, dass China weiter aufmacht. Wir müssen notfalls auch Drohkuliss­en aufbauen, müssen sagen, liebe Chinesen, wenn ihr nicht zulasst, dass unsere Unternehme­n Durchgriff­srechte haben auf ihre Assets in China, dann werden wir gewisse Privilegie­n, die ihr bei uns habt, auch nicht mehr aufrecht erhalten. Und Europa müsste selbst aktiver in Regionen auftreten, in denen China derzeit ein Vakuum vorfindet.

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Wie weit ist der Konflikt USA China ausgereizt?Was passiert dann?

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