Überraschende Einigung
Brüssel und London ist der Durchbruch gelungen. Premierministerin May hat ihre Regierung heute zu einer Sondersitzung eingeladen.
Die britische Premierministerin Theresa May hat für heute eine Sondersitzung ihres Kabinetts anberaumt, um „ihren“Brexit-Deal mit der EU absegnen zu lassen. Ein erster mit Brüssel vereinbarter Textentwurf lag am Abend vor. Die irische Regierung erklärte zwar, die Verhandlungen seien noch keineswegs abgeschlossen. „Die Unterhändler sind noch immer an der Arbeit“, hieß es im Außenministerium in Dublin. „Eine Reihe von Problemen ist noch nicht gelöst.“In London aber bahnt sich, nachdem es nun einen Textentwurf gibt, auch der erste Showdown an. In „gesicherten“Räumen der Regierungszentrale konnten die Minister am Abend den mehrere Hundert Seiten umfassenden Entwurf lesen. Zur gleichen Zeit wurden wankende Kabinettsmitglieder von May zu Einzelgesprächen in Downing Street No. 10 empfangen, um sich über die getroffene Vereinbarung informieren zu lassen.
Auf überwiegend negative Reaktionen stieß bei vielen Par- lamentariern, was zu diesem Zeitpunkt bekannt war über die Vereinbarung. Brexit-Hardliner wie der Sprecher der ToryRechten, Jacob Rees-Mogg, forderten das Kabinett auf, den Deal zu verwerfen. Sollte das nicht geschehen, würden die Abgeordneten es für sie besorgen, sagte Rees-Mogg. Denn May habe ihrem Land die reinste „Sklaverei“beschert.
Ex-Außenminister Boris Johnson sprach vom „völlig unakzeptablen Deal“, der das Vereinigte Königreich zum „Vasallenstaat“mache: „Zum ersten Mal in tausend Jahren wird unser Parlament nicht mehr über die bei uns gültigen Gesetze bestimmen können.“Er werde auf jeden Fall gegen den Deal stimmen, sagte Johnson. Mehrere Dutzend Tory-Abgeordnete denken offenbar wie er.
Auch Nordirlands Unionisten-Partei DUP, von deren zehn Abgeordneten Mays Minderheitsregierung abhängt, signalisierten, dass sie gegen den Deal stimmen würden, falls sich die bisherigen Berichte bestätigten. Man habe May „lange genug ge-
erklärte der DUB-Sprecher Sammy Wilson.
Für die Labour Party sagte deren Vorsitzender Jeremy Corbyn, es sei „unwahrscheinlich“, dass der Deal etwas Gutes für Großbritannien bedeute – in welchem Fall Labour klar gegen ihn sei. Dennoch hofft die Regierungschefin, die Vereinbarung erst durchs Kabinett und danach irgendwie auch durchs Unterhaus zu bugsieren.
Sollte es tatsächlich noch zum EU-Gipfel Ende November kommen, wird das Unterhaus möglicherweise am 10. Dezember das abschließende Urteil fällen. Die Vorsitzenden der Labour Party, der Liberaldemokraten und der schottischen und walisischen Nationalparteien forderten May im gemeinsamen Brief auf, der Volksvertretung eine propere Entscheidung zuzubilligen. Sie neigen, falls der Deal niedergestimmt wird, einem neuen Referendum zu. Überraschend kam die Aufregung nicht. Mehrere Minister hatten in letzter Zeit gewarnt, sich zur „irischen Frage“von der EU nicht in etwas „einbinden“zu lassen, was London nicht einseitig auflösen könne.
Brexit-Minister Dominic Raab hatte erklärt, falls die EU in den entscheidenden Fragen nicht nachgebe, wäre es besser, dass Großbritannien die EU ohne Deal verlasse. Zweifelnden Kollegen soll Raab versichert haben, mit einer No-DealSituation komme Großbritannien ohne Weiteres zurecht.
In der Tat hatte sich eine Reihe von Hardlinern bereits am Montagabend im Büro des Außenhandelsministers Liam Fox getroffen, um eine Strategie abzusprechen. Bislang hatte May nicht gewagt, das Einverständnis ihres Kabinetts für irgendetwarnt“, was einzuholen – aus Angst vor dem allseits erwarteten Eklat. Um diese Konfrontation kommt sie nun nicht mehr herum.
Die EU bereitet sich deshalb auf ein No-Deal-Szenario vor. Der EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans legte einen Notfallplan für einen EU-Austritt ohne Vereinbarung vor. Dieser beinhaltet zwei Gesetzesvorschläge zu den Bereichen Visa und Energieeffizienz. Es gehe darum, nach dem 29. März 2019 Bürgern auf beiden Seiten das Reisen zu erleichtern. Bei den Energieeffizienz-Zielen betont die Behörde, dass das generelle Ziel für 2030 mit 32,5 Prozent auch ohne die Briten gleich bleibe. Dies bedeute, dass der Primärenergieverbrauch von angenommenen 1273 Millionen Tonnen von Öl-Equivalenten ohne Großbritannien auf 1128 Millionen Tonnen sinken wird.
Dritter Punkt ist eine Note zum Grenzverkehr zwischen der Insel und der EU. Sie beinhaltet Informationen über Grenz- und Zollkontrollen, Führerscheine und Pässe.