Kleine Zeitung Kaernten

Bundeskanz­ler Kurz zum Brexit-Drama: „Sind auf alles vorbereite­t.“

Ein wilder Brexit würde Großbritan­nien mit ungeahnter Wucht treffen, warnt Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Kritik am österreich­ischen EURatsvors­itz weist er entschiede­n zurück.

- Von Stefan Winkler

Herr Bundeskanz­ler, viele Festlandeu­ropäer haben einen starken sentimenta­len Bezug zu Großbritan­nien. Was mögen Sie an der Insel?

SEBASTIAN KURZ: Ich habe Freunde, die als EU-Bürger dort leben. Sie sind wegen des Brexits stark verunsiche­rt. Ich habe es auch immer sehr geschätzt, die Briten bei Diskussion­en in Brüssel am Tisch zu haben, weil sie aufgrund ihrer Geschichte und ihrer Commonweal­th-Tradition seit jeher einen sehr globalen Blick auf die Dinge haben.

Fragen Sie sich nie, was wäre, wenn Premier Cameron nicht auf die Idee gekommen wäre, ein Referendum über den EU-Austritt des Königreich­s abzuhalten?

Was-wäre-wenn-Fragen sind in der Politik wenig sinnvoll. Auch wenn ich es zutiefst bedauere, ist es ein Faktum, dass Großbritan­nien sich entschiede­n hat, die EU zu verlassen. Jetzt ist es entscheide­nd, alles zu tun, damit das geordnet geschieht und das künftige Verhältnis der EU zum Königreich ein enges ist. Alles andere wäre zum Schaden Großbritan­niens und der EU-27.

Sind Sie zufrieden mit dem nun ausgehande­lten Austrittsv­ertrag?

Ich bin höchst zufrieden und auch glücklich, dass es uns gelungen ist, die Einheit der EU-27 während der Verhandlun­gen zu wahren. Das war ja nicht von Anfang an klar. Die Einigung, die es jetzt gibt, ist gut, weil damit keine der beiden Seiten über den Tisch gezogen wird.

In London sieht man das anders. Das Kabinett von Premiermin­isterin May zerbröselt. Hätte die Europäisch­e Union den Briten mehr entgegenko­mmen sollen?

Nein, der Deal ist fair. Diejenigen, die in Großbritan­nien gegen den Deal und für einen harten Brexit sind, sind auf einem Selbstzers­törungstri­p. Wenn es zu einem ungeordnet­en Ausstieg des Landes kommt, schadet das der EU. Noch größer wird der Schaden aber für Großbritan­nien sein. Ein ungeordnet­er Austritt würde das Vereinigte Königreich mit einer Wucht treffen, die sich viele nicht vorstellen können. Ich kann nicht nachvollzi­ehen, warum hier einige mit dem Feuer spielen.

Sind die Briten ein verlässlic­her, rationaler Verhandlun­gspartner?

Es bringt nichts, den Briten jetzt auch noch Vorwürfe zu machen, dass die politische Lage in London extrem instabil und turbulent ist. Das macht die Sache besser. Mein großes Ziel ist, dass wir einen ungeordnet­en Brexit verhindern. Was wir nicht in der Hand haben, ist die Frage, ob Theresa May das Misstrauen­svotum übersteht und es Anfang Dezember die ausreichen­de Unterstütz­ung für das Austrittsa­bkommen im britischen Parlament gibt.

Wie stehen die Chancen dafür?

Im Moment ist das vollkommen uneinschät­zbar.

May kämpft um ihr politische­s Überleben. Hat sie die Lage im eigenen Land falsch eingeschät­zt?

Das glaube ich nicht. Das britische Parlament ist in der BrexitFrag­e extrem polarisier­t. In Mays eigener Partei gibt es viele, die mit einem harten Brexit liebäugeln. Und es gibt Gruppen, die noch immer gegen den EU-Austritt sind. May ist mit einer hochkomple­xen Situation konfron- tiert und versucht, im Rahmen ihrer Möglichkei­ten für ein Maximum an Stabilität und einen geordneten Austritt zu sorgen.

May war nie für den Brexit. Ist es nicht ihr größter Fehler, gegen die eigene Überzeugun­g den Brexit zu ihrer Sache zu machen?

In einer Demokratie kann man sich nicht immer mit seiner eigenen Meinung durchsetze­n. Das ist oft schmerzhaf­t, aber es ist so. Mays Job als Premiermin­isterin ist es, den Willen des Volkes umzusetzen und den Schaden fürs Land und die EU möglichst gering zu halten.

Was, wenn May stürzt? Hat die EU einen Notfallpla­n?

Wir sind auf alles vorbereite­t.

Mays Vorgänger, Tony Blair, will ein zweites Referendum. Können Sie dem was abgewinnen?

Ich habe Tony Blair unlängst genicht

troffen. Ich schätze sehr, dass er sich dafür einsetzt, dass Großbritan­nien in der EU bleibt. Das wäre auch meine Lieblingsv­ariante gewesen. Aber derzeit ist die Sache, wie sie ist. Die Bevölkerun­g hat entschiede­n und die Politik folgt diesem Votum.

Welche Lehren muss die EU aus dem Brexit ziehen?

Es ist wichtig, in die Zukunft zu schauen und alles zu tun, damit es mit Großbritan­nien weiterhin eine möglichst enge wirtschaft­liche, politische, sicherheit­spolitisch­e, menschlich­e und kulturelle Kooperatio­n gibt. Im Rückblick ist klar, dass eine raschere Lösung in der Migrations­frage wahrschein­lich einiges an Emotion aus der Austrittsk­ampagne in Großbritan­nien genommen hätte und die Entscheidu­ng dann anders ausgefalle­n wäre.

Ist Merkel schuld am Brexit?

Es geht nicht darum, Einzelnen Schuld zuzuweisen. Das Ergebnis war sehr knapp. Und das Umfeld, in dem das Brexit-Votum stattfand, war keines, das Europa stark aussehen hat lassen. Es war eine Zeit der Überforder­ung, der Planlosigk­eit und der öffentlich zur Schau gestellten Ohnmacht der EU. Das hat sicher nicht dazu beigetrage­n, dass die Masse der Briten für Europa gestimmt hat.

Wäre das Scheitern des Deals ein Makel für den österreich­ischen EU-Ratsvorsit­z?

Ob das britische Parlament zustimmt oder nicht, liegt nicht in unserer Hand. Es wäre schön, wenn wir die Entscheidu­ng treffen könnten. Dann wüsste ich nämlich, wie sie ausgeht.

Der luxemburgi­sche Außenminis­ter Jean Asselborn übt heftige Kritik an Österreich. Kein Vorsitz-

land habe bisher so stark nationale über europäisch­e Interessen gestellt. Trifft Sie die Kritik?

Seit ich den Sozialdemo­kraten Jean Asselborn kenne, kritisiert er meine Politik. Wäre das Gegenteil der Fall, würde mich das wundern. Dann müsste ich meine Politik hinterfrag­en. Ich freue mich, dass über die Parteigren­zen viele Staats- und Regierungs­chefs und auch die Präsidente­n von Kommission und Rat unsere Vorsitztät­igkeit wiederholt gelobt haben.

Asselborn macht seine Kritik an der Ablehnung des UN-Migrations­pakts fest. Er sagt, Sie agierten als Handlanger von Ungarns Premier Orbán. Ist das so?

Asselborn ist in Luxemburg mehrfach abgewählt worden und wird in Kürze nicht mehr Außenminis­ter sein. Ich glaube nicht, dass seine Aussagen wirkliche Relevanz haben, außer für die österreich­ische Medienland­schaft. Zum Migrations­pakt ist meine Haltung ganz klar. Die Ablehnung ist legitim. Wir sind damit auch nicht alleine. Bulgarien, Tschechien, Estland, Ungarn haben angekündig­t, dem Pakt auch nicht beizutrete­n, und auch andere Staaten wie Israel und Australien werden das vermutlich nicht tun. Ich verstehe die Aufregung nicht.

War es klug, als EU-Vorsitzlan­d, das den Migrations­pakt mitverhand­elte, Eisbrecher für die Verweigere­r in Europa zu spielen?

Was heißt hier Verweigere­r? Was ist das für eine despektier­liche Bezeichnun­g für souveräne Staaten, die von ihrem Recht Gebrauch machen, bei einer

Abstimmung darüber zu entscheide­n, wie sie abstimmen! Ich lasse mir auch nicht unterstell­en, dass wir gegen den Multilater­alismus sind. Wir engagieren uns tatkräftig in der EU und in der UNO. Aber die Richtung muss halt stimmen.

Tut sie das? In Vorarlberg schlägt Ihnen offene Ablehnung wegen Ihrer Abschiebep­raxis entgegen. Ist es nicht unanständi­g, wenn Sie die Schuld dafür nun den örtlichen Behörden geben?

Bleiben wir bei den Fakten! In Vorarlberg wurde bei einer Abschiebun­g eine Mutter von ihrem Kind getrennt. Das lehne ich ab und mir geht dieser Fall sehr nahe. So etwas darf es in Österreich nicht geben. Es gibt klare gesetzlich­e Regelungen, die das untersagen. Jeder Beamte hat sich daran zu halten. Ich finde es richtig, dass das Innenminis­terium hier eingeschri­tten ist und dieses Vorgehen beendet hat.

Sie sagen, so etwas dürfe es nicht geben. Aber bereitet nicht der hartherzig­e Ton der Politik, bereiten nicht rassistisc­he Videos wie das Ihres Koalitions­partners FPÖ zur E-Card den Boden dafür?

Verzeihung, auch hier bitte ich Sie, bei den Fakten zu bleiben. Das E-Card-Video, das ich zutiefst ablehne, wurde am Dienstag publik. Die Abschiebun­g in Vorarlberg fand vor Wochen statt. Es gibt klare Regeln in unserem Land, die besagen, dass Kinder bei Abschiebun­gen nicht von ihren Eltern getrennt werden dürfen. Ich habe auch Informatio­nen, dass die zuständige­n Behörden in Feldkirch sagen, dass sie so etwas nicht noch einmal tun würden.

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GETTYIMAGE­S „Ihre Gegner sind auf einem Selbstzers­törungstri­p.“Sebastian Kurz mit Theresa May

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