Kleine Zeitung Kaernten

Ab Montag drohen Streiks. Wären sie gerechtfer­tigt?

Ein Anstieg der Stundenlöh­ne um fünf Prozent wäre verteilung­sneutral – berücksich­tigt man die Konjunktur­lage, so erscheint ein höherer Lohnanstie­g gerechtfer­tigt.

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Ich bin Ökonom und nicht Partei im Lohnkonfli­kt der Metaller. Ich kann nur versuchen, die Positionen der Sozialpart­ner aus (gesamt)wirtschaft­licher Sicht zu beurteilen. Mittelfris­tig steigt die Stundenpro­duktivität in der Industrie um drei Prozent pro Jahr, die Inflation liegt bei zwei Prozent. Ein Anstieg der Stundenlöh­ne um fünf Prozent wäre verteilung­sneutral, würde also den Anteil der Arbeitnehm­erInnen an der Wertschöpf­ung nicht erhöhen. Berücksich­tigt man die Konjunktur­lage, so erscheint ein höherer Lohnanstie­g gerechtfer­tigt: Die Nachfrage der Industrie nach Arbeitskrä­ften ist deutlich gestiegen und damit auch ihre Knappheit. Nach herrschend­er (unternehme­rfreundlic­her) Theorie sollte daher der Preis der Arbeit rascher steigen als im längerfris­tigen Trend. Dazu kommt der Sonderfakt­or des neuen Arbeitszei­tgesetzes, das die Dispositio­nsmacht der Unternehme­n gegenüber ihren Mitarbeite­rInnen erweitert und damit ein Entgegenko­mmen der Industriev­ertreter erwarten ließe. Warum sind die Gewerkscha­fter von Anbeginn mit einer Lohnforder­ung in die Verhandlun­gen eingetrete­n, die als Ergebnis die Lage der Arbeitnehm­er in der Metallindu­strie gegenüber den Arbeitgebe­rn gar nicht verbessern würde? Dahinter steckt ihr langfristi­ger Machtverlu­st: Seit fast 40 Jahren sinkt der Anteil der Löhne am Volkseinko­mmen. Dazu hat der Anstieg der Arbeitslos­igkeit als Folge der Ölpreissch­ocks der 1970er-Jahre, der nachfolgen­den Hochzinspo­litik, der Verlagerun­g des Gewinnstre­bens von Real- zu Finanzinve­stitionen, der Schulden- und Finanzkris­en wesentlich beigetrage­n.

Das Fundament all dieser Entwicklun­gen ist die restaurier­te Wirtschaft­stheorie, wonach eine „unsichtbar­e Hand des Markts“die Egoismen der Einzelnen ins allgemeine Beste verwandelt. In dieser Weltsicht verdient jeder das, was er verdient: Ein Manager mit 300.000 pro Monat ist 100 Mal so viel wert wie ein Facharbeit­er mit 3000. Mehr als eine Generation von Ökonomen wurde marktrelig­iös ausgebilde­t, sie hätten eine Lohnforder­ung der Metaller von sieben Prozent als verantwort­ungslose Unverschäm­theit kommentier­t – dass man nur so zu einem Kompromiss von fünf Prozent kommen könnte, der die Position der Arbeiter nur nicht neuerlich verschlech­tern würde, können sie nicht sehen.

Die Umsetzung der marktrelig­iösen Theorien hat somit nicht nur die Verteilung von Macht, Einkommen und Vermögen verschoben, sondern auch das Bewusstsei­n. Wenn sich die Umverteilu­ng zugunsten der „Leistungst­räger“verlangsam­t, werden das die Vertreter der „Minderleis­ter“als Erfolg verbuchen.

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