Inszenierung vor Inhalt
Schnellere Umweltverträglichkeitsprüfungen im zweiten Anlauf. Heute bringt der Ministerrat den neuen Turbo an den Start. Die übergeordnete Prioritätensetzung fehlt.
Die Regierung setzt immer wieder auf den Überraschungseffekt. Bei der Einführung des 12-StundenTages war das ein kurzfristiger Erfolg. Jetzt wird das neue Standortentwicklungsgesetz in einer Blitzaktion durch den Ministerrat geschrammt. Erst dort wird verraten, wie es im Detail funktionieren soll, künftig Infrastrukturprojekte im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung zu beschleunigen.
Die Erstversion war im Sommer glatt durchgefallen. Juristen zerfetzten zu Recht das Ansinnen einer automatischen Projektgenehmigung nach 18 Monaten, sollten Behörden säumig sein. Ein bissl die Prüfer zumüllen und alles geht. Zum Glück nicht.
Kommt jetzt etwas deutlich Besseres nach? Vor der entscheidenden Sitzung heute hatte die Inszenierung Vorrang vor Inhalten. Montag versammelte Kanzler Sebastian Kurz die Presse im Flughafen-Tower, um das Gelände für die berühmtberüchtigte dritte Piste im Nebel auszumachen. Dienstag folgten perfekt orchestriert die Autobahngesellschaft Asfinag, die Flughafen AG, die ÖBB und der Verbund, deren Chefs so etwas wie eine Hitliste ihrer Projekt-Wartezeiten präsentierten.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Verfahren, die zehn Jahre dauern, sind eines funktionierenden Rechtsstaats nicht würdig. Die neue Version setzt jedoch abermals auf eine gewisse Ausschaltung der Justiz. Die Ursachen der Misere werden nicht einmal ansatzweise angegangen. So könnten unabhängige Bundessachverständige das Problem grundsätzlich etwas entschärfen. Die derzeitige Auslagerung ausschließlich an externe Gutachter kostet viel Zeit. Die Regierung setzt einfach auf die höhere Instanz, den offenbar schnelleren und besseren Durchblick des Bundesverwaltungsgerichts.
Sollten so die seit Jahren in der Luft hängenden Verfahren beendet werden, werden viele aufatmen. Jeder ist froh, wenn Endlosthemen irgendwann vom Tisch sind. Dauerbaustellen sind die teuersten. Einige Fragen stellen sich trotzdem.
Etwa diese: Wenn künftig „besonderes öffentliches Interesse“ein Verfahrensturbo sein darf, was ist das? Haben Bahnprojekte Vorrang vor Straßen? Und wie viel Wachstum des Flugverkehrs will man mittelfristig haben? So viel wie möglich? Was dient den Klimazielen? Was nicht? Derzeit sucht noch jeder den Vorteil innerhalb des eigenen Tellerrands. Übergeordnete Ziele, Prioritätensetzung, die nicht kurzfristigen Zielen dient, das ist die Notwende, die wir brauchen. enn schnelleren Verfahren etwas Positives abgewonnen werden kann, dann hier: Es wird eine große Menge an Maßnahmen – auch Baumaßnahmen – notwendig sein, um die Energiewende zu schaffen. Zehnjährige Verfahren wären hier verfehlt. Über Betroffene einfach drüberzufahren aber auch.
Denn wer sagt, dass sich Menschen nur dann gelbe Westen anziehen, wenn sie, wie gerade in Frankreich, aus Protest gegen höhere Steuern auf Sprit große Verkehrsadern lahmlegen?
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