Ein ungleicher Kampf
Die Ukraine ist nicht unschuldig an der Eskalation vor der Halbinsel Krim. Aber Russland geht gegen das schwächere Nachbarland mit der Aggression einer Supermacht vor.
Die ukrainischen Seeleute seien stur durch die von Russland beanspruchte 12Meilen-Zone vor der Krim gefahren, erzählt man sich in Moskauer Militärkreisen. Einerseits, um Russland zu provozieren. Andererseits, weil sie in Booten mit nur einem Meter Tiefgang gesessen hätten, eigentlich für die Flussschifffahrt gebaut. Darin hätten sich die Ukrainer nicht aufs offene Meer getraut.
Diese Version sagt viel über das Verhältnis der Russen zur Ukraine nach vier Jahren Donbas-Krieg aus. Man empört sich über blutige Gemeinheiten der Kiewer „Faschisten-Junta“. Und über die Gerissenheit, mit der diese das Minsker Friedensabkommen sabotiere. Und man grinst über den kleinen, armen Nachbarn und seine immer neuen Nöte in diesem ungleichen Kampf. Über die mangelhafte Feuerkraft ukrainischer Geschütze und über die schon chronischen Gasversorgungsengpässe der rohstoffarmen Ukraine im Winter.
Man kann sich jetzt trefflich streiten, wer Schuld daran hat, dass nun auch das Asowsche Meer zum Schauplatz blutiger Flottenscharmüt- zel wird. Die russische Seite verweist nicht zu Unrecht darauf, dass es die Ukrainer waren, die im März dieses Jahres einen Fischkutter der Krim aufbrachten und so die Unfreundlichkeiten eröffneten. Aber schon vor Wochen dachte der russische Senator Franz Klinzewitsch laut darüber nach, ob man das Asowsche Meer nicht einfach ganz für die ukrainische Seefahrt sperren sollte.
Mit der 19 Kilometer langen Brücke über die Meerenge von Kertsch hat sich Russland ja erst im Mai sein eigenes „Tor“gebaut, das sich leicht schließen lässt. Auch zu See ist offensichtlich, dass hier ein Kleiner gegen einen sehr Großen kämpft.
Und das ist der vielleicht entscheidende Unterschied. Sicher, die Ukraine besitzt mehr Zivilgesellschaft und ein Parlament, in dem viel heftiger gestritten wird als in der russischen Staatsduma. So wie ges- tern Abend, als die Opposition bei der Debatte über die Einführung des Kriegsrechts das Rednerpult für Staatschef Petro Poroschenko blockierte. Und nächstes Jahr stehen wieder Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an, die einen völlig offenen Ausgang haben werden. Für das aktuelle politische System Russlands ist das unvorstellbar. Aber auch wenn die Wahlsieger in Kiew wechseln, veranstalten sie doch wieder immer wieder die gleiche korrupte Politik. Da ähneln beide Länder einander wieder sehr. ber es ist müßig zu spekulieren, ob Petro Poroschenko proukrainische Rebellionen im Krasnodarer Kreis anzetteln würde, wenn die Ukraine die Supermacht wäre. Russland ist Supermacht, Russland braucht keinen Konjunktiv. Im Jahr 2014 haben seine Polittechnologen und Berufsmilitärs die Krim und das Donbas aufgewiegelt, jetzt rempeln seine Kriegsschiffe ukrainische Kanonenboote aus dem Asowschen Meer. Aggression ist vor allem etwas, das die Großen veranstalten, bekanntlich auch auf anderen Meeren und Erdteilen.
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