Der Wälzer hat ausgedient
Ein Kapitel wird geschlossen: Der jetzt vorliegende Otto-Katalog wird der allerletzte in Papierform sein.
So mancher Buchautor war da womöglich neidisch: In seiner Hochphase wurde er in zweistelligen Millionenauflagen gedruckt und derart populär, dass er in DDR-Zeiten begehrte Schmuggelware war (Frauen in Ostdeutschland schneiderten sich anhand der Produktfotos Kleider nach). Nun schlägt dem Otto-Katalog sein letztes Stündlein – die auf Papier gedruckte Warenschau ist nach der „Frühjahr/Sommer 2019“-Ausgabe Geschichte. Der bunte Wälzer, im Finale 656 Seiten stark, hielt sich erstaunlich lange.
Längst ist klar: Der klassische Katalog zum Blättern fiel aus der Zeit. Ein Anachronismus, diametral entgegengesetzt zu den Bestellgewohnheiten im 21. Jahrhundert: „Der Aufwand für die Produktion und die Verteilung des Katalogs lohnt sich nicht mehr“, hieß es lapidar. Ein wenig Bitternis klang doch mit, als Marc Opelt, Chef der Einzelgesellschaft Otto, des früheren Otto-Versands, sagte: „Unsere Kunden haben den Katalog selbst abgeschafft, weil sie ihn immer weniger nutzen, längst auf unsere digitalen Angebote zugreifen.“
Auch Neckermann und Quelle waren einst Instanzen, als es darum ging, dem Kunden auf Ro- manlänge Lust auf Konsum zu machen. Hierzulande ist auch die Buchgemeinschaft Donauland noch ein Begriff – diese schloss 2010 alle Filialen und die ÖsterreichZentrale. Otto war am Ende der einzige große klassische Versandhändler, dem der Sprung von der Katalog-Ära ins digitale Zeitalter wirklich gelang. Andere Anbieter machten die Rechnung ohne den neuen Wirt – in diesem Fall vor al- lem die Kauf- und Verkaufsplattformen Ebay und Amazon. Man kennt das Bonmot, das mehr denn je zu zählen scheint: „Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.“
Otto nahm seine Kunden mit, 97 Prozent bestellen über den Netzauftritt des Hamburger Unternehmens. Das große Schaufenster – das ist definitiv im Internet zu finden. Am Cover der „Final Edition“gibt sich aber sogar das blonde Model nachdenklich, die Hand bedeutungsvoll vor dem Mund positioniert. „Ich bin dann mal App“, lautet ihre Botschaft. Und der erste Otto-Katalog 1950? 300 Exemplare zu jeweils 14 Seiten – präsentiert wurden darin ausschließlich Schuhe. Mit händisch eingeklebten Fotos.