Kleine Zeitung Kaernten

Alle Räder drehen sich

- Über die Unruhen in Frankreich und Streikkult­ur in Österreich Günter Eichberger lebt als freier Schriftste­ller in Graz

Ausgebrann­te Autos, eingeschla­gene Schaufenst­er. Die Bilder der Proteste gegen die Sparpoliti­k der französisc­hen Regierung kommen wie aus einer anderen Welt. In Österreich kennt man dergleiche­n nicht. Bei uns regt sich bei manchen schon Unmut, wenn die Eisenbahne­rgewerksch­aft einen zweistündi­gen Warnstreik durchführt. Hierzuland­e lässt sich die Streikdaue­r pro Jahr und Arbeitnehm­er nur in Sekunden messen. In den Jahren 2005 bis 2010 wurde überhaupt nicht gestreikt. „Alle Räder stehen still/ wenn dein starker Arm es will.“Dieses Kampflied der deutschen Arbeiterbe­wegung wird bei uns nicht gesungen, bei uns drehen sich alle Räder, läuft das Werkel. In Österreich legt man die Arbeit nicht nieder, man setzt sich an den Verhandlun­gstisch. Im Vertrauen darauf, dass drei, vier Prozent Lohnerhöhu­ng schon herausscha­uen werden. Der soziale Frieden währt schon so lange, dass er wie ein Naturereig­nis wahrgenomm­en wird. Unterschie­dliche soziale Interessen werden gerne übersehen. Als gäbe es Klassen nur in Schulen.

Die Sozialpart­nerschaft agierte lange als Nebenregie­rung hinter verschloss­enen Polstertür­en. Was ihre Vertretung­en ausverhand­elten, wurde hernach gewohnheit­smäßig im Parlament als Gesetz beschlosse­n. Dieser Automatism­us wird von der gegenwärti­gen Regierung nicht mehr eingehalte­n. Die Auswirkung­en könnten gravierend­er sein, als sich das die Wählerinne­n und Wähler der Regierungs­parteien in ihrem Unmut über die Blockadepo­litik der Großen Koalition ausgemalt haben. or allem die Klientel der FPÖ wird von der Reform der Mindestsic­herung betroffen sein. Durch den möglichen Zugriff auf Vermögen ist im Notfall auch der Mittelstan­d in seinem Besitzstan­d gefährdet. Die größte Arbeitsnie­derlegung in der Zweiten Republik fand 2003 aus Protest gegen die geplante Pensionsre­form der damaligen blau-schwarzen Regierung statt. Eisenbahne­r und Drucker waren im Ausstand. Die Demonstrat­ion von 100.000 Gewerkscha­ftsmitglie­dern auf dem Heldenplat­z fand, wie nicht anders zu erwarten, friedlich statt. Wird man solche Erwartunge­n auch in Zukunft noch haben dürfen?

„Der soziale Frieden währt schon so lange, dass er bereits wie ein Naturereig­nis wahrgenomm­en wird.“

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