Aufstand der Abgehängten
Die mitunter gewalttätigen Proteste in Frankreich entpuppen sich auch als Revolte der Abgehängten gegen die Arroganz der Eliten und gegen den gefräßigen Staat.
Die Proteste in Frankreich verstören. Nicht nur, weil am Samstag die Wut wieder in Gewalt umgeschlagen ist, Polizisten attackiert, Autos in Brand gesteckt, Geschäfte zerstört worden sind. Es sieht so aus, als ob sich eine Art schwarzer Block unter die Demonstranten gemischt hätte, der uns von den gewaltsamen G-20Protesten in Hamburg oder den Krawallen im Umfeld des Akademikerballs her vertraut ist.
Was das Koordinatensystem vieler auf den Kopf stellt, ist der Umstand, dass Hunderttausende gegen Emmanuel Macron auf die Straße gehen. Macron wurde als Heilsbringer, als Hoffnungsträger Europas, als Antithese gegen den dumpfen Rechtspopulismus in den Élysée-Palast gewählt und gilt als Inbegriff der Vernunft und des Fortschritts. Der Volkszorn gegen Macron müsse deshalb, so die Logik, von engstirnigen Wutbürgern, rabiaten Kleingeistern, hasserfüllten Provinzlern, verkappten Rechtsextremisten oder fanatischen Linken und Anarchisten befeuert sein. Vergleiche mit der Revolution 1789, als der König aus Paris verjagt wurde, oder dem Mai 1968, als die Studenten gegen General de Gaulle und das Establishment auf die Barrikaden gingen, weist man schroff von sich. Daniel Cohn-Bendit, Anführer der 68er-Revolte und ein Freund des Präsidenten, schwadronierte kürzlich über die „totalitäre und autoritäre Versuchung“der Gelbwesten.
Dass diese kein Programm, keine Organisation, keine Wortführer aufweisen, bestärkt viele in der Annahme, dass ein Mob, der bloß auf den eigenen Vorteil bedacht ist, die Herrschaft übernehmen wolle – noch dazu wegen einer Lächerlichkeit, der Erhöhung der Dieselpreise, die im Zeitalter der sich anbahnenden Klimakatastrophe doch eine grundvernünftige Idee sein sollte.
Der französische Philosoph Jean-Claude Michéa, einer der Vordenker der Gelbwesten, nimmt den Vorwurf, dumpfe Autofahrer würden auf die Bar- rikaden steigen, auf und dreht den Spieß auf bestechende Weise um. Der klapprige DieselPkw sei halt für viele „der einzige Weg, um die 50 Kilometer zur Arbeit, die 20 Kilometer zum Einkaufen, die zehn Kilometer zum letzten noch ordinierenden Arzt zurückzulegen“. So gesehen entpuppen sich die Proteste als Revolte der Abgehängten, der an der Peripherie oder in der ausgedünnten Provinz lebenden Menschen gegen die abgehobenen Eliten, die als Stadtbewohner leicht auf ein Auto verzichten und an den Dieselpreisen herumdrehen können, als Revolte gegen den gefräßigen Staat, der immer neue Steuereinnahmen erfindet. ie Vorgänge in Frankreich sollten allen Politikern eine Warnung sein. Wer angesichts dumpfer Proteste leichtfertig die Populismuskeule schwingt, läuft Gefahr, von den Bürgern, die den Eindruck haben, die Politik kümmere sich um alles Mögliche, nur nicht um die – berechtigten oder weniger berechtigten – Anliegen der kleinen Leute, bei den nächsten Wahlen in die Wüste geschickt zu werden.
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