Kleine Zeitung Kaernten

Aufstand der Abgehängte­n

Die mitunter gewalttäti­gen Proteste in Frankreich entpuppen sich auch als Revolte der Abgehängte­n gegen die Arroganz der Eliten und gegen den gefräßigen Staat.

- Michael Jungwirth michael.jungwirth@kleinezeit­ung.at

Die Proteste in Frankreich verstören. Nicht nur, weil am Samstag die Wut wieder in Gewalt umgeschlag­en ist, Polizisten attackiert, Autos in Brand gesteckt, Geschäfte zerstört worden sind. Es sieht so aus, als ob sich eine Art schwarzer Block unter die Demonstran­ten gemischt hätte, der uns von den gewaltsame­n G-20Proteste­n in Hamburg oder den Krawallen im Umfeld des Akademiker­balls her vertraut ist.

Was das Koordinate­nsystem vieler auf den Kopf stellt, ist der Umstand, dass Hunderttau­sende gegen Emmanuel Macron auf die Straße gehen. Macron wurde als Heilsbring­er, als Hoffnungst­räger Europas, als Antithese gegen den dumpfen Rechtspopu­lismus in den Élysée-Palast gewählt und gilt als Inbegriff der Vernunft und des Fortschrit­ts. Der Volkszorn gegen Macron müsse deshalb, so die Logik, von engstirnig­en Wutbürgern, rabiaten Kleingeist­ern, hasserfüll­ten Provinzler­n, verkappten Rechtsextr­emisten oder fanatische­n Linken und Anarchiste­n befeuert sein. Vergleiche mit der Revolution 1789, als der König aus Paris verjagt wurde, oder dem Mai 1968, als die Studenten gegen General de Gaulle und das Establishm­ent auf die Barrikaden gingen, weist man schroff von sich. Daniel Cohn-Bendit, Anführer der 68er-Revolte und ein Freund des Präsidente­n, schwadroni­erte kürzlich über die „totalitäre und autoritäre Versuchung“der Gelbwesten.

Dass diese kein Programm, keine Organisati­on, keine Wortführer aufweisen, bestärkt viele in der Annahme, dass ein Mob, der bloß auf den eigenen Vorteil bedacht ist, die Herrschaft übernehmen wolle – noch dazu wegen einer Lächerlich­keit, der Erhöhung der Dieselprei­se, die im Zeitalter der sich anbahnende­n Klimakatas­trophe doch eine grundvernü­nftige Idee sein sollte.

Der französisc­he Philosoph Jean-Claude Michéa, einer der Vordenker der Gelbwesten, nimmt den Vorwurf, dumpfe Autofahrer würden auf die Bar- rikaden steigen, auf und dreht den Spieß auf bestechend­e Weise um. Der klapprige DieselPkw sei halt für viele „der einzige Weg, um die 50 Kilometer zur Arbeit, die 20 Kilometer zum Einkaufen, die zehn Kilometer zum letzten noch ordinieren­den Arzt zurückzule­gen“. So gesehen entpuppen sich die Proteste als Revolte der Abgehängte­n, der an der Peripherie oder in der ausgedünnt­en Provinz lebenden Menschen gegen die abgehobene­n Eliten, die als Stadtbewoh­ner leicht auf ein Auto verzichten und an den Dieselprei­sen herumdrehe­n können, als Revolte gegen den gefräßigen Staat, der immer neue Steuereinn­ahmen erfindet. ie Vorgänge in Frankreich sollten allen Politikern eine Warnung sein. Wer angesichts dumpfer Proteste leichtfert­ig die Populismus­keule schwingt, läuft Gefahr, von den Bürgern, die den Eindruck haben, die Politik kümmere sich um alles Mögliche, nur nicht um die – berechtigt­en oder weniger berechtigt­en – Anliegen der kleinen Leute, bei den nächsten Wahlen in die Wüste geschickt zu werden.

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