Zeitdruck als bestimmender Faktor
Stellen wir uns eine junge Biowissenschaftlerin vor; nennen wir sie Eva. Eva hat eine eigenartige Hypothese: Sie meint, dass eine bestimmte Aufbereitung von Wasser besondere Heilwirkung entfalten könnte. Dafür erhitzt sie einen Liter Wasser drei Mal für je eine Minute bei 400 Watt in einem Mikrowellenherd und lässt es dazwischen für je fünf Minuten abkühlen. Ihre Versuche ergeben, dass das mikrowellenaktivierte Wasser, auf schwere Brandwunden geträufelt, verblüffende Heilwirkung besitzt: Die Wunden heilen merklich rascher und besser als bei herkömmlichen Therapien.
Was wäre, wenn sich Evas Befund in unabhängigen Studien replizieren (bestätigend wiederholen) ließe? Eva wäre berühmt. Die Arbeiten würden in den besten medizinischen Zeitschriften veröffentlicht, ihre Erstbeschreibung würde tausendfach zitiert, der Effekt würde nach ihr benannt, und einige Jahre später wäre ihr der Nobelpreis für Medizin sicher. Eva wäre ein Star.
Die Wissenschaft ist für solche Effekte offen, sie sucht geradezu begierig danach. Das ist unser täglich Brot an Universitäten. Und es wäre wunderbar, wenn sich derart einfache, kostengünstige und nebenwirkungsfreie Heilmethoden fänden.
Aber eigentlich wollte ich gar nicht über die Homöopathie schreiben, dem Weihnachtsfrieden zuliebe. Stattdessen wollte ich von Philip Zimbardos klassischem Experiment zum „barmherzigen Samariter“erzählen. Die Versuchsteilnehmer wurden in einem Gebäude der Stanford University informiert, dass sie am anderen Ende des Campus einen Vortrag halten sollten. Am Gebäudeausgang wartete ein als Bettler getarnter Schauspieler, der um eine milde Gabe bat. Der Betrag, den die Teilnehmer gaben, hing hauptsächlich von einer einzigen Variable ab: dem Zeitdruck, unter den eine der Gruppen gesetzt wurde („Aber beeilen Sie sich, Sie sind schon spät dran“). araus sind zwei Schlüsse zu ziehen: (1) Situative Faktoren beeinflussen unser Verhalten stärker als gedacht, und (2) wir sollten uns gerade vor Weihnachten etwas mehr Zeit nehmen.
„Ein Versuch hat klar gezeigt: Situative Faktoren beeinflussen unser Verhalten stärker als gedacht.“
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