Berlinale-Start mit übler Schmonzette
Völlig verkalkuliert haben sich die Berliner Filmfestspiele beim Eröffnungsfilm, der tief in die Klischeekiste greift.
Welch ein Fehlgriff beim Eröffnungsfilm! Statt die Betriebstemperatur zu Beginn auf Touren zu bringen, gab es zur BerlinaleOuvertüre ein Stück Sozialkitsch, das allenfalls zur Sat.1Schmonzette zu Weihnachten taugt. In der Malen-nach-Zahlen-Geschichte „The Kindness of Strangers“(„Die Freundlichkeit von Fremden“) der Dänin Lone Scherfig geht es um eine verzweifelte Frau, die sich mit ihren beiden kleinen Kindern ins winterliche New York aufmacht. Der Vater, ein Polizist, war offensichtlich ein sadistischer Schläger. Zum Glück gibt es eine selbstlose Krankenschwester, die allen Menschen immer hilft und natürlich auch die Mama mit Kindern aufnimmt. Mehr noch: Ein Ex-Häftling entpuppt sich gleichfalls als guter Engel. Bald muss Mutter nicht mehr heimlich Häppchen in Hotels stehlen oder die Kids zum Aufwärmen in Bibliotheken abgeben.
Jede einzelne Figur aus Scherfigs Film ist der Klischeekiste entsprungen, die Handlung will ohne Dramaturgie oder Entwicklung auskommen. Und als zusätzliche Kitschkalorien ein schmachtender Klangteppich der penetranten Art. Der vom Festival so gerne propagierten Frauenquote mag das statische Werk im Wettbewerb statistisch dienen. Von den Qualitäten ihres einstigen BerlinaleLieblings „Italienisch für Anfänger“ist die übersentimentale Frau Scherfig indes meilenweit entfernt.
Lone Scherfig sprach in ihrer Pressekonferenz die selbstlose Hilfsbereitschaft der Ärmsten an, die im Film thematisiert wird. Der dänisch-kanadische Film wurde in Kanada gedreht, wo die Regisseurin diese Hilfsbereitschaft kennengelernt hat-
te: „Das ist so beeindruckend, dass es sich lohnt, einen Film darüber zu machen“, sagte sie.
Bill Nighy, der eine Nebenrolle spielt, betonte die politische Dimension: „Gruppen werden aufgerufen, Position gegeneinander zu beziehen. Aber Menschen kommen miteinander aus, wenn sie nicht manipuliert werde.“
Immerhin bleibt ein Trost nach „Kindness of Strangers“: Es kann nur besser werden. Heute präsentiert François Ozon das Kirchenmissbrauchs-Drama „Grâce à Dieu“. Am Samstag gehen Marie Kreutzer und Fatih Akin ins Bären-Rennen. Kreutzer schildert in „Boden unter den Füßen“ein Drama um eine Frau, die sich um ihre depressive Schwester kümmern muss. Akin erzählt in „Der Goldene Handschuh“die Geschichte des Serienkillers Fritz Honka – spätestens dann sollte die Betriebstemperatur steigern.