Die Berlinale startete mit vier Filmen, die wehtun
Weltpremiere für Marie Kreutzer. Fatih Akin und François Ozon schockieren mit Filmen zum Thema Gewalt.
Das Bären-Rennen ist kein Ponyhof. So heftig ging es zum Auftakt freilich selten zu: vier Filme, die wehtun. In ihrem kraftvollen Spielfilmdebüt „Systemspringer“erzählt Nora Fingscheidt von einem Problemkind, das massiv gegen seine Umgebung rebelliert. Wo immer die Neunjährige aufgenommen wird, fliegt sie wieder hinaus. Sie brüllt, schlägt mit dem Kopf gegen die Wand – schon jetzt wird Kinderdarstellerin Helena Zengel für ihren Auftritt als Bären-Favoritin gehandelt.
als Opfern handelt „Gelobt sei Gott“von François Ozon, der nach wahren Ereignissen den Missbrauchsfall durch katholische Priester in Lyon schildert. Fast dokumentarisch erzählt der Film, wie sich Erwachsene nach vielen Jahren dem Trauma stellen, das sie als Kinder erlebt haben. Doch an der Mauer des Schweigens ändert sich nichts. Schließlich erstatten die Opfer gemeinsam Anzeige. Dem Tribunal auf der Leinwand folgt in Kürze jenes der Wirklichkeit: Am 8. März soll von einem Lyoner Gericht das Urteil gegen Täter und Mitwisser gesprochen werden.
Das Leben von Unternehmensberaterin Lola (Valerie Pachner) gerät ins Wanken, als ihre schizoide Schwester Conny (Pia Hierzegger) nach einem Suizidversuch in die Psychiatrie kommt: Auch das Drama „Der Boden unter den Füßen“der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer feierte am Samstag Weltpremiere im Berlinale-Bewerb. Nüchtern und pathosfrei erzählt Kreutzer vom Zerfall eines Lebenskonzepts. „Der Boden unter den Füßen“erscheint gleichsam als schwarzer Zwilling des Kassenerfolgs „Toni Erdmann“, in dem eine junge Unternehmensberaterin von ihrem Vater aus ihrem emotionslosen Leben befreit wird. Lola befreit niemand. Die Stärke der streckenweise etwas unentschlossen wirkenden Erzählung liegt in kleinen Preziosen, Mikroszenen, die ohne viel Federlesen Situationen oder Charaktere einfangen.
Horror-Geschichte erzählt Fatih Akin. Er widmet sich – nach dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk – in „Der Goldene Handschuh“dem Serienmörder Fritz Honka. Der ermordete im Hamburg der 70er-Jahre vier Frauen, zerstückelte die Leichen und versteckte sie in seiner Wohnung. Weil die Frauen keiner vermisste, fielen die Taten nicht auf. Gleich zum Auftakt geht es heftig zur Sache. Jonas Dassler, mit massiver Maske zum Freak verunstaltet, zersägt die erste Leiche in der schäbigen Wohnung. Wegen der extremen Szenen beim Dreh wurde eigens eine SetPsychologin zur Betreuung der Schauspieler um Dassler und die Grazer Mimin Grete Tiesel angeheuert. Für Akin steht die Brutalität symbolisch: „Männer brauchen eine Art Schocktherapie über das Visuelle, und ich wollte die Gewalt deshalb explizit zeigen, so bedrückend, wie sie ist“, so der 45-Jährige. Der Beifall blieb spärlich. Dafür war das Entsetzen über die Wucht des Gezeigten zu groß. Übernächste Woche kann man sich im Kino dieser Mutprobe mit Nachhaltigkeitseffekt stellen.