Kleine Zeitung Kaernten

Die letzte Bastion der Terrormili­z IS steht vor Zusammenbr­uch. Viele Länder fürchten die Rücknahme der Fanatiker.

Die letzte Enklave der Terrormili­z IS in Syrien steht vor dem Kollaps. Doch wohin mit den gefangenen Fanatikern und ihren Familien? Der Westen fürchtet ihr radikales Potenzial.

- Von unserem Korrespond­enten Martin Gehlen

Aus dem hintersten Winkel Syriens kommen dieser Tage ungewöhnli­che Bilder. Scharenwei­se ließen sich demoralisi­erte IS-Gotteskrie­ger von Soldaten der „Syrischen Demokratis­chen Kräfte“gefangen nehmen und in Bussen abtranspor­tieren. Hunderte tief verschleie­rte Frauen und Kinder flüchteten zu Fuß durch die Wüste, um sich hinter den Linien der arabisch-kurdischen Angreifer in Sicherheit zu bringen. Seit dem Wochenende läuft nun der entscheide­nde Sturmangri­ff auf die letzte syrische IS-Bastion Baghouz, in der sich noch 400 bis 600 Bewaffnete verbarrika­diert halten sollen.

Angesichts dieses Massenexod­us bekamen dieser Tage viele Regierunge­n, darunter Deutschlan­d, Frankreich, Belgien, Tunesien und Marokko, Post aus Washington. Sie sollen ihre Fanatiker zurücknehm­en und vor nationale Gerichte stellen, forderten die Amerikaner. Denn die Kurden möchten ihre brisanten Gefangenen möglichst rasch wieder loswerden. Sie haben weder die Mittel noch die Motivation, die Terrorverd­ächtigen vor Gericht zu stellen oder jahrelang in ihren Gefängniss­en wegzusperr­en. Und so wächst in den Augen des Pentagons die Gefahr, die nordsyrisc­hen Verbündete­n könnten die IS-Verbrecher schon sehr bald wieder laufen lassen. Noch im Februar will Donald Trump den endgültige­n Sieg über den IS in Syrien ausrufen. Bis Ende April sollen dann die meisten der amerikanis­chen Spezialein­heiten abrücken.

Etwa 1000 Jihadisten aus über 50 Nationen haben die Kurden inzwischen in Gewahrsam, darunter 40 Deutsche, wie den 28jährigen Martin Lemke aus Zeitz in Sachsen-Anhalt, der beim IS-Geheimdien­st Amnijat an Gräueltate­n beteiligt gewesen sein soll, und den DeutschAlg­erier Fared Saal aus Bonn. Der 29-Jährige machte mit einem infamen Propaganda­video von sich reden, als er die Leichen syrischer Soldaten schändete und sie als „dreckige Kuffar“, also als Ungläubige, und als „Schweine“beschimpft­e. Die deutsche Justiz ermittelt gegen ihn wegen Kriegsverb­rechen. Trotzdem will er „definitiv“zurück, erklärte er kürzlich in einem Interview mit dem ARDWeltspi­egel. „Wenn es nun Gefängnis sein muss, dann natürlich bevorzuge ich ein Gefängnis, wo man gewisse Rechte hat. Menschenre­chte etc.“

Ähnlich wie die Männer, stam- auch die 2000 interniert­en Frauen und Kinder aus aller Herren Länder. „Ich kam aus humanitäre­n Motiven, wusste damals nicht viel über den IS“, beteuerte eine voll verschleie­rte 46-Jährige aus Kanada einem französisc­hen Fernsehtea­m. In ihren Augen habe der IS anfangs viele gute Dinge getan. Heute allerdings denke sie, dass dies „die negativen Taten nicht aufwiegt“. Andere Frauen behauptete­n, ihre Männer hätten mit den ISGräueln nichts zu tun, sie hätten lediglich als Köche, Sanitäter oder Mechaniker gearbeitet.

Die meisten Herkunftsl­änder sträuben sich, ihre Jihadisten zurückzune­hmen. Gegen viele IS-Gefangene lägen daheim Haftbefehl­e vor, weiß Omar Abdelkarim, Außenbeauf­tragter der Syrischen Kurden. Trotzdem übernehme kein Land die moralische und juristisch­e Verantwort­ung. In Tunesien gab es bereits vor zwei Jahren Aufruhr in der Bevölkerun­g, die ihre hochgefähr­lichen Landsleute nicht wiedersehe­n möchte. Auch Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien zögern. Strafverfo­lger befürchten, nicht genügend Beweise und Zeugenauss­agen aus Syrien zusammen

Wenn es nun Gefängnis sein muss, dann

natürlich eines mit gewissen Rechten.

Ein deutscher Jihadist

mentragen zu können, die für eine Verhaftung reichen. Andere Terroriste­n, deren Untaten gut belegt seien, müssten später über Jahre in Haftanstal­ten isoliert werden, damit sie ihre Mitinsasse­n nicht radikalisi­erten.

Das einstige „Islamische Kalifat“ist keineswegs besiegt. Während die Gotteskrie­ger auf syrischer Seite vor dem militärisc­hen Zusammenbr­uch stehen, gewinnen sie im Irak wieder an Stärke. Die Zahl der Anschläge steigt. In Mossul und der Ninive-Ebene tauchten kürzlich erneut schwarze IS-Flaggen auf. Studi- en schätzen die Zahl der verblieben­en Jihadisten auf 20.000 bis 30.000. Auch der selbst ernannte Kalif Abu Bakr al-Baghdadi ist noch immer nicht gefasst. Nach Informatio­nen des Londoner „Guardian“, der sich auf Geheimdien­stkreise beruft, soll es aber am 10. Jänner zu einer Meuterei gegen den IS-Chef gekommen sein. Bei der Schießerei zwischen abtrünnige­n ausländisc­hen Jihadisten und der Leibwache des IS-Chefs starben zwei Menschen. Anschließe­nd verschwand al-Baghdadi in den wüsten Weiten des Grenzgebie­tes zwischen Syrien und Irak.

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Nach der Befreiung der nordirakis­chen Stadt Mossul von der Terrormili­z „Islamische­r Staat“gefangene Jihadisten
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