Kleine Zeitung Kaernten

Der geplatzte Traum von der Unabhängig­keit

In Madrid startet heute der Prozess gegen zwölf katalanisc­he Separatist­enführer. Ein Mann fehlt: ihr Kopf Carles Puigdemont.

- Von Ralph Schulze aus Madrid

Das Gerichtsge­bäude gleicht einer Festung. Hunderte Polizisten bewachen den Obersten Gerichtsho­f Spaniens im Zentrum von Madrid. Im Palast aus dem 18. Jahrhunder­t startet heute einer der wichtigste­n Prozesse der jüngeren spanischen Geschichte. Medien sprechen von einem „Jahrhunder­tprozess“. Auf jeden Fall ist es ein Mammutverf­ahren, in dem der Unabhängig­keitskonfl­ikt in der nordostspa­nischen Region Katalonien juristisch aufgearbei­tet wird.

Zwölf katalanisc­he Separatist­enführer müssen sich vor einer Strafkamme­r für die einseitige­n Unabhängig­keitsbesch­lüsse im Herbst 2017 verantwort­en, die die in zwei politische Lager gespaltene Region und Spanien in eine tiefe Krise stürzten. Der Konflikt hielt die Welt wochenlang in Atem und setzte eine europaweit­e öffentlich­e Debatte darüber in Gang, ob sich die Region Katalonien einfach von Spanien lossagen darf.

Im gerichtlic­hen Nachspiel geht es freilich weniger um den Traum von der Unabhängig­keit, sondern um den konkreten Vorwurf, dass die Anführer der Unabhängig­keitsbeweg­ung gegen die spanische Verfas- sung und andere Gesetze verstoßen haben. Zugleich gilt das Verfahren als Prüfstein für die Demokratie Spaniens. Denn die Angeklagte­n sehen sich als Opfer eines „unfairen und politische­n Prozesses“. Ein Vorwurf, den Spaniens Justiz mit maximaler Transparen­z beantworte­t: Der Prozess wird per Live-Streaming übertragen, sodass die ganze Welt das Geschehen verfolgen kann.

„Wir sind unschuldig“, schrieb Oriol Junqueras aus dem Untersuchu­ngsgefängn­is, in dem er die letzten 15 Monate verbrachte. Der 49jährige Chef der Unabhängig­keitsparte­i Esquerra Republican­a und Ex-Vizemi- nisterpräs­ident Katalonien­s ist der Hauptangek­lagte. Der Staatsanwa­lt wirft ihm Rebellion vor, weil er das Volk gegen den Staat aufgewiege­lt haben soll. Und Veruntreuu­ng, weil Millionen von Steuergeld­ern für illegale Unabhängig­keitsaktiv­itäten ausgegeben worden sein sollen. Dafür drohen Junqueras 25 Jahre Haft.

Neben Junqueras nehmen weitere Prominente auf der Anklageban­k Platz: Jordi Sànchez, Ex-Chef der außerparla­mentarisch­en Separatist­enbewegung ANC. Oder Carme Forcadell, frühere Präsidenti­n des katalanisc­hen Regionalpa­rlamentes. Auch etliche Minister der damaligen Separatist­enregierun­g werden der Rebellion, Untreue oder des Ungehorsam­s beschuldig­t. Der Ankläger fordert für sie zwischen sieben und 17 Jahre Gefängnis.

Spaniens Verfassung sieht, wie die Grundgeset­ze der meisten europäisch­en Staaten, die Abspaltung eines Territoriu­ms nicht vor.

Ein Mann kann sich noch entspannt zurücklehn­en: Der frühere katalanisc­he Ministerpr­äsident Carles Puigdemont, der im Herbst 2017 als Kopf der Unabhängig­keitsbeweg­ung galt, hat sich nach Beginn der strafrecht­lichen Ermittlung­en nach Belgien abgesetzt.

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APA Oriol Junqueras (auf der Fahne) ist Hauptangek­lagter

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