Kleine Zeitung Kaernten

„Politische Ränder operieren mit Angst“

INTERVIEW. Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka über das Krisenjahr 1934, dessen historisch­e Einordnung und die Spätfolgen für die österreich­ische Politik heute.

- Von Thomas Götz

Herr Nationalra­tspräsiden­t Sobotka, was war 1934 aus Ihrer Sicht: ein Bürgerkrie­g, eine Schießerei, ein Aufstand?

1934 eindeutig zu definieren ist ein bisschen schwierig. Es hat sich herauskris­tallisiert, von Bürgerkrie­g zu sprechen. Bürgerkrie­g wäre aber eigentlich der Kampf zweier Gleichbere­chtigter. Trotzdem hat man es aufseiten der Sozialdemo­kratie so gesehen.

Sie sehen es nicht so?

Ich würde es nicht als Bürgerkrie­g definieren. Es war die Durchsetzu­ng eines autoritäre­n Staatsbegr­iffs. Aus der Zeit heraus konnte man es als Niederwerf­ung eines Aufstands sehen, aus unserer Zeit heraus ist es das Durchsetze­n eines autoritäre­n Regimes mit militärisc­hen, staatliche­n Macht- und Gewaltmitt­eln. Bis heute wird dieses Ereignis aber unterschie­dlich diskutiert und bewertet.

Ist dieser Bruch zwischen Sozialdemo­kratie und Christdemo­kraten heute noch zu spüren?

Ich denke, dass er grundsätzl­ich keine Rolle mehr spielt in der aktuellen politische­n Themenland­schaft und bei den Menschen in unserem Land – vor allem nicht bei jüngeren Generation­en. In der historisch­en Betrachtun­g natürlich sehr wohl.

Auch nicht, wenn der Kanzler mit Dollfuß verglichen wird?

Das ist Instrument­alisierung von Geschichte. Da spürt man, dass wir in der Darstellun­g dieser Zeit nicht auf einen Common Sense gekommen sind. Ich habe manches Mal den Eindruck, man versucht, bestimmten Regierungs­konstellat­ionen bewusst einen Stempel aufzudrück­en. Mit den autoritäre­n Strukturen des Nazi-Regimes wagt man diese dann doch nicht zu vergleiche­n. Also setzt man es zurück in die Zeit von Dollfuß.

Wie würden Sie das politische Klima im heutigen Österreich charakteri­sieren?

leben in einer Zeit, in der die politische­n Ränder oft mit Angst operieren. Die einen argumentie­ren mit der Angst, egal ob das jetzt die Migration, Kriminalit­ät oder gewisse supranatio­nale Organisati­onen sind. Die anderen operieren mit der Angst: Alles demokratis­ch Erreichte steht plötzlich infrage. Dieses Spiel mit der Angst, die immer höhergesch­raubt wird, um noch Aufmerksam­keit erregen zu können, ist fatal, weil es Bilder vermittelt, die in keiner Weise der Realität entspreche­n.

Ist mehr Nüchternhe­it nötig?

Wenn man es nüchtern betrachtet und die Zahlen anschaut, zeigt sich vielfach ein nicht so dramatisch­es Bild. Etwa in der Frage der Armut: Die ist gesamt gesehen definitiv zurückgega­ngen. Das nimmt nur niemand zur Kenntnis. Jeder sagt: Die Armen werden ärmer, die Reichen werden reicher. Das ist eine unzulässig­e Vereinfach­ung.

Die Schere geht weiter auf.

Ich glaube nicht, dass die Schere wirklich weiter auseinande­rgeht – aber es ist natürlich für den politische­n Rand eine mobilisier­ende Argumentat­ion. Es sollte uns kein Ruhekissen sein, aber es ging uns in Österreich noch nie so gut wie jetzt. Das spielt auch in der aktuellen Interpreta­tion des Jahres 1934 eine Rolle. Man hat diese Angst im Hinterkopf, Österreich könnte wieder in autoritäre Strukturen zurückfall­en.

Könnte es?

Erstens tut man den Opfern von damals wirklich unrecht, wenn man Dinge vergleicht, die wirklich beispiello­s und unvergleic­hbar sind. Und zweitens negiert man, dass sich bei uns demokratis­che Strukturen bis in die kleinsten Verästelun­gen der Gesellscha­ft etabliert haben. Es ist noch nichts im Parlament beschlosse­n worden, das antidemokr­atisch wäre oder der Demokratie zuwiderlau­fen würde. Sämtliche Beschlüsse, darauf achte ich als Nationalra­tspräsiden­t, sind verfassung­skonform.

Trotzdem hört man von beiden Seiten, von ÖVP wie von SPÖPolitik­ern, das Klima sei so schlecht wie lange nicht mehr. Warum?

Ich empfinde es nicht so, aber vielleicht liegt das an meiner Position – ich bin ja kein Regierungs­mitglied. Ich habe zu allen Parteien eine fundierte, gute Beziehung. Ich weiß aber auch nicht, wie gut und intensiv der Kontakt früher war, als eine rot-schwarze Koalition regierte. Hat diese Kontakt zu den Stronachs, zur FPÖ, zu den Grünen besser gepflegt als heute? Ich weiß es nicht.

Nach dem Krieg gab es den Mythos der Lagerstraß­e, der von der Versöhnung der verfeindet­en Lager Rot und Schwarz durch gemeinsame­s Leid im NS-Konzentrat­ionslager spricht. Hat das den Konflikt nur überdeckt?

Sicher. Es hat auch dazu geführt, dass wir die Nazizeit nicht aufgearbei­tet haben und es hat zum Mythos geführt, Österreich sei immer ein Opfer gewesen.

Ist nicht der Ständestaa­t noch viel weniger aufgearbei­tet worden als die Nazizeit?

Das war auch mein Ansatz im Vorjahr. Mit dem Tag der Republik, dem Tag des Parlaments, dem 4. März, wollte ich das Bewusstsei­n darauf lenken, wie der Parlamenta­rismus damals unter die Räder gekommen ist. Wir müssen alles daransetze­n, heute eine ordentlich­e Konfliktku­ltur zu entwickeln, einen Widerstrei­t der Ideen.

Warum ist die Konfliktku­ltur so schlecht ausgeprägt bei uns?

Weil der Österreich­er ausgeWir prägte Konfliktsi­tuationen nicht mag. In England, dem Mutterland der Demokratie, werden Konflikte viel radikaler ausgetrage­n. Wir haben ein ungeheures Bedürfnis nach Konsens und nach Harmonie. Wir können mit diesem Wechselspi­el zwischen starker Opposition und starker Regierung nicht umgehen. Eine starke Opposition macht uns staunen und die klare Haltung einer Regierung gilt bald als stur oder autoritär.

Andreas Khol hat einmal von den „roten Gfrießern“geredet ...

... das halte ich für keinen guten Ausdruck ...

Die Jungtürkis­en drücken ihre Geringschä­tzung höflicher aus.

Geringschä­tzung glaube ich nicht. Es ist eine klare Haltung. Vielleicht hat die ÖVP lange keine so klare Haltung gehabt wie jetzt. Dass sie sozialdemo­kratischen Thesen und Haltungen kritisch gegenübers­teht, ist nach all den Erfahrunge­n mit der SPÖ in den Großen Koalitione­n der letzten Jahre auch nachvollzi­ehbar. Am Ende beruht das ja auch auf Gegenseiti­gkeit, wenn man es offen betrachtet.

Wo ist der Kern dieser Rivalität?

Im Wesentlich­en geht es um die Einstellun­g zur Verantwort­lichkeit des Individuum­s. Muss der Staat fürs Individuum immer sorgen, oder muss zuerst einmal das Individuum für sich sorgen und erst wenn es nicht mehr kann, den Staat rufen? Es geht um das Menschenbi­ld. Kommt die Solidaritä­t vor der Eigenveran­twortung oder kommt die Eigenveran­twortung vor der Solidaritä­t?

Was war der Beitrag der SPÖ in der Nachkriegs­zeit?

Mit ganz großer Sicherheit ein Weitertrei­ben der sozialrefo­rmatorisch­en Ideen, die allerdings schon einen vorsoziald­emokratisc­hen Grund haben. Und die Neuformuli­erung bestimmter Rechte und Gesetze in der Periode Kreisky. Das hat aber schon mit Josef Klaus angefangen.

Warum ist die Große Koalition gescheiter­t?

Große Koalitione­n funktionie­ren wahrschein­lich nur dann, wenn es große Herausford­erungen gibt. Die großen Aufgaben haben wir weitestgeh­end erledigt.

Dann wurde es mühsam?

Keine Frage. Ich glaube, den Ausschlag hat gegeben, dass wir plötzlich eine klare Haltung an den Tag gelegt haben. Vorher hat man nur noch abgetausch­t, nichts mehr ausdiskuti­ert.

Ist Tausch nicht das Prinzip jedes Kompromiss­es?

Es sind auch Kompromiss­e herausgeko­mmen, die nicht positiv gewesen sind.

Ceta-Abkommen gegen Aufhebung des Rauchverbo­ts war auch kein sehr guter Kompromiss.

Diese Problemati­k stellt sich in der Realität doch kaum mehr. Sie finden schon jetzt fast kein Gasthaus mehr, wo Sie rauchen können. Aber ich erinnere mich hier beispielsw­eise an das Sicherheit­spolizeige­setz. Mit welcher Mühe man das damals mit der SPÖ verhandeln musste und wie schnell man heute Ergebnisse liefert! Es gab viele Dinge, die aus Bestemm heraus nicht gingen, und die ÖVP selbst hat in der damaligen Situation oftmals auch Linie vermissen lassen.

Sie war nicht zu führen?

Es fehlte die Haltung, um zu führen. Es war keine Führungsfä­higkeit da, nur die Fähigkeit, irgendwie über die Runden zu kommen. Das kann für die Leute nicht attraktiv sein.

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„Ich würde es nicht als Bürgerkrie­g definieren“: Wolfgang Sobotka

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