Ein zerrissenes Land
Zum Prozess gegen Kataloniens Separatisten.
Das große Tribunal ist eröffnet. Drei Monate lang wird der Oberste Gerichtshof in Madrid darüber verhandeln, ob das karnevaleske Referendumsspektakel, das die Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung im Herbst 2017 veranstalteten, eine Rebellion oder gar Hochverrat war.
Aber welches Urteil die Richter am Ende auch fällen werden, ob sie die zwölf Angeklagten freisprechen oder ohne Pardon sanktionieren, eines steht bereits fest: Auf justiziellem Weg wird man den Konflikt nie befrieden können. Eher werden sich die Gräben noch vertiefen.
Denn es handelt sich um eine politische Auseinandersetzung, bei der es im Kern einmal mehr um die Frage geht, wie nationale Identität im Europa des 21. Jahrhunderts gelebt werden kann. Und diese Frage beschäftigt die Katalanen schon lange.
Dass die Lage eskalierte, ist beiden Seiten zuzuschreiben. Den Separatisten, weil sie meinten, sich über geltendes Recht hinwegsetzen zu können. Und der konservativen Vorgängerregierung der nunmehr um Dialog bemühten Sozialisten, weil sie das explosive Potenzial des Zwists nicht erkannte und den Katalanen mit zentralstaatlicher Arroganz begegnete. n Wahrheit taugte dieser Konflikt von Beginn an nicht für Schwarz-Weiß-Malerei. Weder sind die Anhänger der Selbstbestimmung allesamt Schurken noch ist Madrid eine brutale Kolonialmacht. Eine Verständigung ist trotzdem nicht in Sicht. Spanien ist heute zerrissener denn je.
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