„UnfähigesSystem,das Ärzte nicht motiviert“
Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer geht mit Politik und den Kassen hart ins Gericht.
schrieben, jedes Bundesland kennt ähnliche Geschichten. Dabei stimmt es, wenn die einen sagen, es gebe keinen Ärztemangel, weil wir ohnehin so viele Wahlärzte haben. Aber es ist auch die Wahrnehmung der Patienten richtig, die immer längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Längst gibt es Vorschläge, die auch in der Politik gehört wurden: etwa dass Wahlärzte zu Diensten an der Allgemeinheit verpflichtet werden sollen (Nachtdienste etc.). Wenn sie nicht mitmachen, sollen sie sich mit einem finanziellen Betrag, der in die Allgemeinversorgung fließen soll, freikaufen können.
Ein weiterer Mythos, der immer wieder vorgebracht wird: dass wir eine der größten Ärztedichten in Europa haben. Das hängt wieder von der Sichtweise des jeweiligen Analysten ab. Unbestritten ist: Wir bräuchten mehr Kassenärzte und ein System, das die Versorgung durch niedergelassene Kassenärzte für eine Rundumbetreuung inklusive Wochenende verpflichtend darstellt.
Das wird die Versorgung nicht günstiger machen. Aber es wäre besser für die Patienten, es würde die Spitalsambulanzen entlasten – und mit der aktuellen Ärztezahl wäre das auch zu schaffen. Die Frage, die sich dabei keiner zu stellen traut: Wer soll das bezahlen?
Dass die Politik vor den Entwicklungen nicht gewarnt wurde, ist falsch: Mindestens seit 2007 zirkulieren wissenschaftlich fundierte Analysen, wann und in welchen Fächern es zu einem Ärztemangel kommen könnte. Aber die Politik reagierte nicht. Im Gegenteil: Für junge auszubildende Ärzte fehlten die Plätze schon Anfang der 2000er-Jahre. Das hat zu der ersten Migrationsbewegung der Jungärzte um 2005 nach Deutschland geführt. Und viele weitere sind gefolgt, nach Schweden, in die Schweiz und in andere Länder.. Heute stehen wir vor der Situation, dass Allgemeinmediziner etwa mit 30 ihre Ausbildung beenden. Sie steigen aber erst mit rund 40 in die Allgemeinordination ein – das heißt, fast eine ganze Generation ist in andere medizinische Jobs abgewandert. Einerseits, weil es bisher im Clinch zwischen GKK und Landesärztekammern zu wenige attraktive Arbeitsmodelle (Teilen einer Praxis etc.) gegeben hat. Eine neue Generation will anders arbeiten, wie auch in nicht-medizinischen Berufen üblich. Andererseits hat das neue Spitalsarbeitszeitgesetz Ärzte vom Markt abgesaugt und in die Spitäler gebracht.
Deshalb findet man am Markt zwar Jungärzte, aber zu wenige erfahrene Spezialisten. Es gab eben über Jahre keinen Plan, um ärztliche Leistungsträger im Gesundheitssystem zu halten. Und die Spitäler arbeiten wie andere Betriebe in der Arbeitswelt auch: mit der Mindestzahl an ärztlichen Mitarbeitern. Man muss in der Analyse all der Mythen auch die universitäre
Ausbildung in die Pflicht nehmen: Warum verbessert man nicht das – von Ärzten kritisierte – verschulte System, das zu wenige Verantwortungsträger hervorbringt? Kreative Lösungen – etwa, dass Stipendien an den temporären Verbleib in Österreichs Gesundheitssystem gebunden werden – wurden nie E ernsthaft gefordert. s gibt aber auch eine gute Nachricht: Der sogenannte Ärztemangel wird laut Experten bald seinen Höhepunkt erleben – dann beruhigt sich die Situation. Dann müsste die neue österreichische Krankenkasse aber das System neu gestalten und mehr Kassenstellen vergeben, um die Situation für Patienten zu verbessern. Offen bleibt, wie die Ärzte auf Primärversorgungszentren reagieren. Kassenärzte werden sich nicht dort niederlassen, wo ein Primärversorgungszentrum geplant sein könnte – die Konkurrenz wäre zu groß. Erschwerend: Die Planung der Zentren bleibt mehr als vage.
Die immer wiederkehrende Warnung, dass viele niedergelassene Kassenärzte in den nächsten Jahren in Pension gehen, stimmt ebenso nur bedingt. Ein Kassenarzt darf bis 70 arbeiten. Nicht alle verlassen mit 65 das Arbeitsleben, das wird sich aufteilen – aber man wird mit frühzeitigen Ausschreibungen vor allem am Land gegensteuern müssen. Dass mehr Uni-Absolventen gegen einen Ärztemangel helfen, bleibt der letzte Mythos: Bis Absolventen, die jetzt ihr Studium beginnen, die Privat- und staatlichen Universitäten verlassen, wird sich die Situation am Ärztemarkt beruhigt haben. Das sagen Ärzte und Wissenschaftler wie Gerhard Stark, die 2007 vor dem Mangel gewarnt hatten. Aber sie werden wohl wieder nicht gehört werden. Und das Wort Ärzteschwemme wird den Ärztemangel wieder ablösen. Ansatzlos. haben massenhaft Ärzte, wir bilden auch genug aus. Wir haben nur ein System, das unfähig erscheint, sie so zu motivieren, dass sie dort arbeiten, wo es notwendig wäre. Die Gründe kennt man seit Jahren. Ich bin daher auf die SPÖ sauer: Wie lange sind sie an den Schalthebeln gesessen und kommen jetzt mit dem Angstthema Ärztemangel daher? Jetzt kommt wieder eine politische Diskussion in Gange und es wird gesagt, die Regierung zerstört mit ihrer Idee einer österreichischen Krankenkasse ein gut funktionierendes System, um das uns die ganze Welt beneidet. Aber einen Monat später sagen die gleichen Politiker, es herrsche plötzlich Hausärztemangel. Wenn es das beste System ist, wie sie zuvor behauptet haben, dann kann es keinen Hausärztemangel geben, oder? Schon 2014 hat die FPÖ eine Dringliche Anfrage gemacht, wir stünden vor einem Hausärztemangel und die Regierung schaue tatenlos zu. Heute geht es genauso nicht um Fakten, sondern um Emo„Wir
tionalisierung. Die Fakten: Wir sind, was die Hausärzte betrifft, extrem knapp ausgestattet, deshalb spürt jeder die kleinste Veränderung. Es geht bei einer immer älter werdenden Bevölkerung darum, deren gesundheitliche Probleme, die noch keine medizinischen Probleme sind, aufzunehmen und zu lösen. Dafür braucht es Struktur und Anreize. Man muss doch einmal genauer hinschauen, warum es in manchen Bereichen so schwierig ist: Wahlärzte, als Versorgungsoption neben Kassenärzten, gibt es nur in Österreich. Wir haben uns aber nicht über deren Versorgungswirksamkeit und Rolle in der Versorgung Gedanken gemacht. Alle haben gehofft, dass eh alles in Ordnung geht, dass sich das System selbst reguliert. Dem ist aber nicht so.“