Weltstar der Innerlichkeit: Bruno Ganz ist mit 77 Jahren verstorben.
Er war ein Weltstar der Innerlichkeit: Der Schweizer Schauspieler Bruno Ganz ist 77-jährig einem Krebsleiden erlegen.
Nach „Der Himmel über Berlin“sollen Menschen zu ihm gekommen sein mit der Bitte, ihre Kinder zu segnen. In Wim Wenders’ Film, der ihn 1987 berühmt machte, spielte Bruno Ganz einen einsamen Engel, dessen Aufgabe es ist, menschliches Leid zu lindern, und dessen Sehnsucht nach der menschlichen Erfahrung dabei so groß wird, dass er bereit ist, auf die Unsterblichkeit zu verzichten, um wie ein Mensch zu bluten, zu fühlen und zu lieben.
Dass die Leute wirklich geglaubt haben, sie hätten es bei Bruno Ganz mit einem Engel zu tun, ist unwahrscheinlich. Vielleicht haben ja die fast überirdisch anmutende Zartheit und Melancholie, die der Schauspieler ausstrahlte, in seinen Bewunderern den seltsamen Wunsch nach Benedeiung geweckt. Ganz zählte zu jenen Schauspielern, die bei ihrem Publikum hochkomplexe Gefühle auslösten, weil er mit jeder seiner Figuren eine Reise tief in das Innerste, zum glühenden, tobenden, tosenden Kern des Menschlichen unternahm.
Kaum jemals wurde das besser sichtbar als in Oliver Hirschbiegels „Der Untergang“aus dem Jahr 2004. Der Film widmete sich den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs im sogenannten Führerbunker – und zeigte Adolf Hitler als verkrümmtes, zitterndes, jämmerliches, von Hysterie und Wahnsinn zerrüttetes Geschöpf. Eine Darstellung, die Teile der Öffentlichkeit unvorbereitet traf: Dass Ganz dem Monster so menschliche Dimension verlieh, war manchen zutiefst unheimlich. Von Ganz selbst ist dazu immerhin überliefert, die Rolle sei ein „Einschnitt“in seiner Arbeit gewesen. Und: Er habe sich darüber erschrocken, wie ähnlich er dem Diktator in Maske und Kostüm war.
Darstellerische Brillanz und Tiefgang bis in die finstersten Abgründe des Menschseins: Eingeschrieben war das der Biografie des 1941 in Zürich geborenen Sohns einer italienischen Mutter und eines Schweizer Fabrikarbeiters von vornherein nicht. Ein Lehrer ließ die Mutter wissen, der introvertierte, langsame Bub sei wohl etwas zurückgeblieben. Jahre später verließ er die höhere Schule ohne Abschluss: Da hatte er bereits das Theater für sich entdeckt. Noch in ganz jungen Jahren wurde der Mann mit dem grüblerischen Wesen und dem immensen schauspielerischen Charisma zum Mitbegründer der Berliner Schaubühne und entwickelte eine künstlerische Lebensfreundschaft mit dem Regisseur Peter Stein; spielte unter ihm Tasso und Peer Gynt, den Prinzen von Homburg und den Faust. Auch mit Regisseuren wie Peter Zadek, Claus Peymann, Klaus Michael Grüber
und Luc Bondy pflegte er lange, fruchtbare Kooperationen auf der Bühne – nicht zuletzt an der Burg und bei den Salzburger Festspielen. Dort sollte er noch im Sommer 2018 als Erzähler in Mozarts „Zauberflöte“gastieren. Eine Darmkrebsdiagnose verunmöglichte das.
In den Morgenstunden dieses Freitags ist Ganz im Kreise seiner Familie seiner Erkrankung erlegen. Er war 77 Jahre alt. Bis zuletzt, so seine Agentin, habe er „intensiv und voller Freude an Projekten gearbeitet“.
Dass ein Gigant des deutsch- sprachigen Theaters auch noch zum Weltstar wurde: Daran ist natürlich das Kino schuld. Schon in den Siebzigern drehte er mit Regisseuren wie Éric Rohmer („Die Marquise von O“), Wenders („Der amerikanische Freund“), Handke („Die linkshändige Frau“), Werner Herzog („Nosferatu“). Nach „Der Himmel über Berlin“wurden die Filme internationaler: mit Theo Angelopoulos’ „Die Ewigkeit und ein Tag“, Jonathan Demmes „Manchurian Candidate“, Francis Ford Coppolas „Jugend ohne Jugend“, Stephen Daldrys „Der Vorleser“, Bille Augusts „Nachtzug nach Lissabon“, Ridley Scotts „The Counselor“. Und wahrscheinlich hätte er noch berühmter werden können. Aber er drehte zuletzt lieber Filme wie das Schweizer Nationalmärchen „Heidi“und Nikolaus Leytners „Der Trafikant“.
Worauf er eben Lust hatte: Es sei üblich geworden, monierte er vor einiger Zeit in der „Neuen Zürcher Zeitung“, „dass Schauspieler immer über das Welträtsel befragt werden und ihre Meinung zum Besten geben. Und irgendwie ödet mich das an.“