Mit 70 Jahren noch immer als Ultraläufer unterwegs
Josef Kladensky ist 70 und Ultraläufer: Er ist schon viel weiter als einmal um die Welt gelaufen und sagt: „Der Mensch ist ein Lauftier.“
Es könnte damit zu tun haben, dass Josef Kladensky am Vortag seine Autobiografie an den Verlag abgeschickt hat, dass er so gut gelaunt zum Treffen erscheint. Oder damit, dass er eine Frohnatur ist. Dass der Niederösterreicher nicht nur extrem ausdauernd laufen, sondern ebenso schreiben kann, beweisen die 900 Seiten, die sein Werk in der Rohfassung hatte.
Im Mai 2018 feierte „Seppi“Kladensky seinen 70. Geburtstag. Zum Runden beschenkte er sich mit dem „Mozart 100“, für die 103 Kilometer und 4600 Höhenmeter benötigte er 19:20:42 Stunden. Wie er beiläufig erzählt, rannte er zehn Tage vor dem Salzburger Ultralauf einen „stressfreien Hunderter“als Vorbereitung – wie unsereins von einer 12-Kilometer-Lauf- runde spricht. 2018 war überhaupt ein gutes Jahr für Kladensky, mit 17 Läufen ab der Marathondistanz (im Schnitt 61 Kilometer), drei jenseits der 100 Kilometer und seiner fünftbesten Jahreskilometerleistung, seit er 1981 mit dem Laufen begonnen hat. 1981 war Josef Kladensky 33 Jahre alt und weil es gerade zur Mode wurde, lief er mit Freunden in der Prater Hauptallee.
1985 war der erste Marathon an der Reihe. 1997 der erste Ultralauf, 90 Kilometer beim Comrades Marathon in Südafrika. Erst da merkte der damals 49Jährige, wo sein wahres läuferisches Talent liegt: immer weiter, statt „bloß“schneller zu laufen. Mit Stand Jänner 2019 absolvierte der Perchtoldsdorfer 93 Ultraläufe und 85 Marathons. Kaum ein bekannter Ultralauf, den er nicht schon hinter sich hat: Spartathlon, Badwater Ul- Grand Raid auf Réunion, Ultra Trail du Mont Blanc, Marathon des Sables und wie sie alle heißen. Alles penibel dokumentiert. „Ich bin ein Pedant“, sagt er mit einem typischen Anflug von Selbstironie – der Ausdruck „Zahlenliebhaber“trifft aber sicher zu: Seine „Prahlliste“umfasst jeden Lauf seit 1981, egal, ob in Wettbewerben oder nur für sich.
Damit lässt sich ausrechnen, dass er bisher 3087 Mal die Laufschuhe geschnürt und 54.214 Kilometer laufend zurückgelegt hat (weit mehr als einmal um die Welt). Rund acht Monate seines Lebens ist er gelaufen, der Durchschnittslauf war um die 13 Kilometer lang. Mehr als ein Viertel seiner Laufkilometer hat er in Wettkämpfen zurückgelegt. „Wir sind Lauftiere. Nicht schnelle, sondern ausdauernde.“Der Perchtoldsdorfer führt aus: „Der Mensch hat früher die Antilope ... Na ja, zwar nicht zu Tode gehetzt – aber zu Tode ‚nicht in Ruhe gelassen‘“. Als Tierliebhaber (und deshalb Vegetarier) würde er zwar sicher niemals eine Antilope sekkieren – aber die alte, in den Genen steckende Lauflust ist in ihm erwacht, ist Kladensky sicher. Bei den meisten Menschen liege diese Lust brach, und irgendwann in der Menschheitsgeschichte werde sie ganz verloren gehen, sintra,
Ich hasse Trainingspläne, weil sie Lauflust zu einem Zwangslauf machen.“
Wir Menschen
sind Lauftiere. Nicht schnelle,
sondern ausdauernde.“
er. Doch noch lasse sich die Lust aktivieren. Unter Lauf„Lust“fällt für ihn auch, dass er noch nie nach einem Plan trainiert hat. Wie weit er jeweils laufen wird, entscheidet er meist beim Wegrennen. Außer am Dienstag, seinem wöchentlichen Fixtermin: Da läuft er, der auch ehrenamtlich beim Roten Kreuz mitarbeitet oder sich in der Behindertenhilfe engagiert, als Begleitläufer von blinden und sehbehinderten Menschen. „So kann ich meinen Laufspleen auch sinnvoll sozial einsetzen.“
Obwohl er persönliche Bestzeiten auch noch nach dem 60. Geburtstag aufgestellt hat, ist Josef Kladenskys Motto: nicht schneller, dafür möglichst weit laufen. Einer der längsten Nonstop-Läufe seines Lebens war der Spartathlon mit 245 hügeligen Kilometern – gleichzeitig der härteste, gemeinsam mit dem Badwater Ultra bei 55 Grad Hitze. Von 250 Startern geben beim Spartathlon in der Regel zwei Drittel auf – Kladensky überquerte nach 34:51 Stunden die Ziellinie. Das Überwinden von Tiefs sei auch eine der großen Herausforderungen.
Eine schöne Analogie zum gesamten Leben, findet Kladensky. Einmal sei er gebeten worden, seine Freunde im Laufsport aufzuzählen. Auf 74 sei er gekommen. „Wenn du in diesen Rennen einen Fremden triffst, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er zum Freund wird. Weil er erstens ähnlich tickt wie du und zweitens wie du in einer Ausnahmeniert situation steckt.“Die freundschaftliche Atmosphäre und die oft fast familiäre Szene sind es übrigens auch, die er an den österreichischen Ultraläufen und Bergmarathons so schätzt: Ötscher, Veitscher und Kainacher Berglauf hat er 2018 absolviert. „Dort drückt dir der Veranstalter persönlich die Hand.“Zum Thema familiär: Dass seine Christine seine Laufleidenschaft nur bedingt teilt („sie läuft ihre Runde um den Häuserblock“), findet er nicht weiter schlimm und es tut der Liebe keinen Abbruch: „Es gibt zwei Zugänge: ‚Gleich und gleich gesellt sich gern‘ oder ‚Gegensätze ziehen sich an‘. Bei uns trifft einfach das Zweite zu.“Der 70. Geburtstag war schon ein Einschnitt, sagt Josef Kladensky – das Gefühl: „Wahnsinn, jetzt bist du schon ein alter Mann.“Doch er nimmt auch das mit Humor: „In der M60-Klasse gibt es bei manchen meiner Rennen keine Starter. Dafür in der M70 einen.“Er fühlt sich „subjektiv“sehr gut und seine jüngsten Leistungen sind der Beweis, dass eine Zahl allein gar nichts aussagt.
So wie auch die 42,195 Kilometer keine Grenze markieren, hinter der das „Menschenunmögliche“beginnt. „Hinter dem Marathon ist kein schwarzes Loch – aber es wird dich nicht mehr loslassen“, formuliert er seine Botschaft, die er in seinem Buch transportieren will. Er muss es wissen. Und wird hoffentlich noch viele Jahre lang beweisen dürfen, was jenseits der 42 Kilometer alles möglich ist.