Kleine Zeitung Kaernten

Bitte ein weniger ideologisc­hes Europa

Justizmini­ster und Universitä­tsprofesso­r Trócsányi soll Ungarns nächster EU-Kommissar werden. Er fordert eine „ideologisc­h neutrale“EU.

- Von Boris Kálnoky

Herr Minister, Sie sind der „Spitzenkan­didat“der Regierungs­partei bei den Wahlen zum EU-Parlament. Ministerpr­äsident Orbán will, dass Sie Ungarns Mann in der EU-Kommission werden. Sollen Sie dort Ungarns Interessen stärker vertreten?

LÁSZLÓ TRÓCSÁNYI: Ich muss in der Kommission – als Ungar – für die Konsensfin­dung arbeiten. Aber so, dass auch die nationalen Interessen durchgeset­zt werden.

Demokratis­ch gewählter „Spitzenkan­didat“– soll das Druck auf die EU ausüben, Sie auch als Kommissar zu akzeptiere­n?

Es bedeutet ein bestimmtes Maß an demokratis­cher Legitimati­on. Das heißt nicht, dass ich angenommen werde. Die Anhörungen sind nie leicht.

Sie müssten als EU-Kommissar über die Einhaltung europäisch­en Rechts wachen. Aber Sie sind Justizmini­ster eines Landes, in dem nach Auffassung der EU der Rechtsstaa­t gefährdet ist.

Das ist ein politische­r Standpunkt des Europäisch­en Parlaments, aber nicht der ganzen Union. Rechtliche Fragen sollten nicht politisier­t werden. Ich finde es immer bedenklich, wenn Politiker über Rechtsstaa­tlichkeit reden.

Wer denn sonst?

Über Rechtsstaa­tlichkeit sollten Juristen auf fachlicher Basis und nicht Politiker urteilen. Vielleicht sollte man über Fragen der Rechtsstaa­tlichkeit nicht im Rat der Regierungs­chefs debattiere­n, wo es um allgemeine Angelegenh­eiten geht, sondern im Rat der Justizmini­ster.

Wie politisch sollte die EU-Kommission sein, der Sie künftig angehören wollen?

Für mich als Jurist sind die europäisch­en Verträge maßgeblich, in denen die Aufgaben der Institutio­nen, das Verhältnis der EU und der Mitgliedst­aaten bestimmt werden. Die Kommission hat Initiativr­echt und hat als Hüterin der Verträge eine klare juristisch­e Rolle, während der Rat der Regierungs­chefs die politische Richtung vorgibt. Ich möchte mich daran halten. Vor allem sollte die Kommission ideologisc­h neutral sein.

Also keine politische Kommission. EU-Kommission­schef JeanClaude Juncker ist aber ausdrückli­ch politisch. Ungarn unterstütz­t bei der Europawahl den EVP-Spitzenkan­didaten Manfred Weber. Sie kennen ihn – wie würde er die Kommission führen?

Manfred Weber will eine profession­elle Kommission mit mehr Nähe zum Bürger, sein Plan und meine Auffassung harmoniere­n: Die Union existiert für sich selbst, sondern für die Bürger.

Zurück zur Rechtsstaa­tlichkeit. Kritiker werfen Ihnen vor, mit der Aufstellun­g von Verwaltung­sgerichten den herkömmlic­hen Gerichten Kompetenze­n zu entziehen und die Justiz abhängiger zu machen von der Politik. Faktum?

Meine kurze Antwort ist Nein. Es gibt in der Mehrheit der Mitgliedst­aaten separate, unabhängig­e Verwaltung­sgerichte. Wir wollen das Niveau der Rechtsprec­hung heben.

Die Kommission war vor ein paar Tagen hier, was sagten die Experten denn?

Wir haben vor allem über die Verwaltung der Gerichte diskutiert und über die Rolle des Justizmini­sters dabei. Die Regelung, die wir eingeführt haben, existiert ähnlich in vielen Ländern, die richterlic­he Unabhängig­keit bleibt dabei unangetast­et. Wir können Meinungen nicht akzeptiere­n, die sagen, dass bestimmte Regelungen in den sogenannte­n „alten Demokratie­n“gut sind, aber nicht in den „neuen Demokratie­n“.

Kritik gibt es nicht nur an Strukturen, sondern auch an Personalen­tscheidung­en. Der Generalsta­atsanwalt kommt aus der Regierungs­partei und gilt als Freund des Ministerpr­äsidenten.

Der leider verstorben­e französisc­he Rechtsgele­hrte Guy Carcassonn­e meinte, dass alle solche Ernennunge­n von Natur aus politische Bezüge haben. Der Präsident des französisc­hen Verfassung­srates, Laurent Fabius, ist ein früherer sozialisti­scher Außenminis­ter und wurnicht

de vom damaligen sozialisti­schen Staatspräs­identen François Hollande ernannt. Die Politik ist bei solchen Ernennunge­n immer präsent. Ein Problem gibt es nur, wenn jemand seinen Amtseid ablegt, aber nicht in dem Geiste des Prinzips der Unabhängig­keit arbeitet.

Genau das werfen Kritiker dem Generalsst­aatsanwalt vor: nicht genug gegen Korruption zu unternehme­n.

Ich verabscheu­e Korruption. Man muss sie entschloss­en bekämpfen. Gegenwärti­g läuft ein Korruption­sverfahren gegen einen Parlaments­abgeordnet­en. Wir arbeiten eng mit dem Europäisch­en Amt für Betrugsbek­ämpfung, Olaf, zusammen. Beim Kampf gegen die Korruption kann es keine Kompromiss­e geben.

Kritiker sagen, dass nur jene verurteilt werden, die keine Protektion genießen – wer in Orbáns Gunst steht, ist unantastba­r. Fakt oder Fantasie?

Ich habe von keinem Fall politische­r Protektion gehört. Gerade läuft ein Verfahren gegen einen Abgeordnet­en der Regierungs­partei.

Der prominente­ste Fall ist Kritikern zufolge das Unternehme­n Elios, an dem zeitweise der Schwiegers­ohn des Ministerpr­äsidenten beteiligt war. Olaf wirft der Firma Unregelmäß­igkeiten im Umgang mit EU-Geldern vor.

Auf jede Empfehlung von Olaf hin hat die Generalanw­altschaft gründlich ermittelt. Man kann politische Anschuldig­ungen erheben, aber wenn die Staatsanwa­ltschaft feststellt, dass keine Straftat erfolgte, dann ist die Sache erledigt. Bei Elios konnte kein Hinweis auf eine Straftat festgestel­lt werden.

Wenn es nach dem Europäisch­en Parlament geht, werden Ländern mit mangelnder Rechtsstaa­tlichkeit künftig EU-Mittel gestrichen. Gemeint sind vor allem Ungarn und Polen. Was sagen Sie zu dieser Idee?

Instrument­e für die Prüfung der Lage der Rechtsstaa­tlichkeit gibt es doch bereits, es gibt Vertragsve­rletzungsv­erfahren, den Europäisch­en Gerichtsho­f. Hier wird doch wieder nur ein neuer Mechanismu­s geschaffen, der Aufgaben übernimmt, die andere bereits wahrnehmen. Die EU bräuchte eine Phase der Stabilisie­rung – stattdesse­n denkt man sich andauernd neue Sachen aus. Wie ich schon sagte, ich halte es nicht für glücklich, wenn Politiker über rechtliche Fragen entscheide­n.

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EPA „Ich halte es nicht für glücklich, wenn Politiker über rechtliche Fragen entscheide­n“– Ungarns Justizmini­ster Trócsányi
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