Bitte ein weniger ideologisches Europa
Justizminister und Universitätsprofessor Trócsányi soll Ungarns nächster EU-Kommissar werden. Er fordert eine „ideologisch neutrale“EU.
Herr Minister, Sie sind der „Spitzenkandidat“der Regierungspartei bei den Wahlen zum EU-Parlament. Ministerpräsident Orbán will, dass Sie Ungarns Mann in der EU-Kommission werden. Sollen Sie dort Ungarns Interessen stärker vertreten?
LÁSZLÓ TRÓCSÁNYI: Ich muss in der Kommission – als Ungar – für die Konsensfindung arbeiten. Aber so, dass auch die nationalen Interessen durchgesetzt werden.
Demokratisch gewählter „Spitzenkandidat“– soll das Druck auf die EU ausüben, Sie auch als Kommissar zu akzeptieren?
Es bedeutet ein bestimmtes Maß an demokratischer Legitimation. Das heißt nicht, dass ich angenommen werde. Die Anhörungen sind nie leicht.
Sie müssten als EU-Kommissar über die Einhaltung europäischen Rechts wachen. Aber Sie sind Justizminister eines Landes, in dem nach Auffassung der EU der Rechtsstaat gefährdet ist.
Das ist ein politischer Standpunkt des Europäischen Parlaments, aber nicht der ganzen Union. Rechtliche Fragen sollten nicht politisiert werden. Ich finde es immer bedenklich, wenn Politiker über Rechtsstaatlichkeit reden.
Wer denn sonst?
Über Rechtsstaatlichkeit sollten Juristen auf fachlicher Basis und nicht Politiker urteilen. Vielleicht sollte man über Fragen der Rechtsstaatlichkeit nicht im Rat der Regierungschefs debattieren, wo es um allgemeine Angelegenheiten geht, sondern im Rat der Justizminister.
Wie politisch sollte die EU-Kommission sein, der Sie künftig angehören wollen?
Für mich als Jurist sind die europäischen Verträge maßgeblich, in denen die Aufgaben der Institutionen, das Verhältnis der EU und der Mitgliedstaaten bestimmt werden. Die Kommission hat Initiativrecht und hat als Hüterin der Verträge eine klare juristische Rolle, während der Rat der Regierungschefs die politische Richtung vorgibt. Ich möchte mich daran halten. Vor allem sollte die Kommission ideologisch neutral sein.
Also keine politische Kommission. EU-Kommissionschef JeanClaude Juncker ist aber ausdrücklich politisch. Ungarn unterstützt bei der Europawahl den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber. Sie kennen ihn – wie würde er die Kommission führen?
Manfred Weber will eine professionelle Kommission mit mehr Nähe zum Bürger, sein Plan und meine Auffassung harmonieren: Die Union existiert für sich selbst, sondern für die Bürger.
Zurück zur Rechtsstaatlichkeit. Kritiker werfen Ihnen vor, mit der Aufstellung von Verwaltungsgerichten den herkömmlichen Gerichten Kompetenzen zu entziehen und die Justiz abhängiger zu machen von der Politik. Faktum?
Meine kurze Antwort ist Nein. Es gibt in der Mehrheit der Mitgliedstaaten separate, unabhängige Verwaltungsgerichte. Wir wollen das Niveau der Rechtsprechung heben.
Die Kommission war vor ein paar Tagen hier, was sagten die Experten denn?
Wir haben vor allem über die Verwaltung der Gerichte diskutiert und über die Rolle des Justizministers dabei. Die Regelung, die wir eingeführt haben, existiert ähnlich in vielen Ländern, die richterliche Unabhängigkeit bleibt dabei unangetastet. Wir können Meinungen nicht akzeptieren, die sagen, dass bestimmte Regelungen in den sogenannten „alten Demokratien“gut sind, aber nicht in den „neuen Demokratien“.
Kritik gibt es nicht nur an Strukturen, sondern auch an Personalentscheidungen. Der Generalstaatsanwalt kommt aus der Regierungspartei und gilt als Freund des Ministerpräsidenten.
Der leider verstorbene französische Rechtsgelehrte Guy Carcassonne meinte, dass alle solche Ernennungen von Natur aus politische Bezüge haben. Der Präsident des französischen Verfassungsrates, Laurent Fabius, ist ein früherer sozialistischer Außenminister und wurnicht
de vom damaligen sozialistischen Staatspräsidenten François Hollande ernannt. Die Politik ist bei solchen Ernennungen immer präsent. Ein Problem gibt es nur, wenn jemand seinen Amtseid ablegt, aber nicht in dem Geiste des Prinzips der Unabhängigkeit arbeitet.
Genau das werfen Kritiker dem Generalsstaatsanwalt vor: nicht genug gegen Korruption zu unternehmen.
Ich verabscheue Korruption. Man muss sie entschlossen bekämpfen. Gegenwärtig läuft ein Korruptionsverfahren gegen einen Parlamentsabgeordneten. Wir arbeiten eng mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, Olaf, zusammen. Beim Kampf gegen die Korruption kann es keine Kompromisse geben.
Kritiker sagen, dass nur jene verurteilt werden, die keine Protektion genießen – wer in Orbáns Gunst steht, ist unantastbar. Fakt oder Fantasie?
Ich habe von keinem Fall politischer Protektion gehört. Gerade läuft ein Verfahren gegen einen Abgeordneten der Regierungspartei.
Der prominenteste Fall ist Kritikern zufolge das Unternehmen Elios, an dem zeitweise der Schwiegersohn des Ministerpräsidenten beteiligt war. Olaf wirft der Firma Unregelmäßigkeiten im Umgang mit EU-Geldern vor.
Auf jede Empfehlung von Olaf hin hat die Generalanwaltschaft gründlich ermittelt. Man kann politische Anschuldigungen erheben, aber wenn die Staatsanwaltschaft feststellt, dass keine Straftat erfolgte, dann ist die Sache erledigt. Bei Elios konnte kein Hinweis auf eine Straftat festgestellt werden.
Wenn es nach dem Europäischen Parlament geht, werden Ländern mit mangelnder Rechtsstaatlichkeit künftig EU-Mittel gestrichen. Gemeint sind vor allem Ungarn und Polen. Was sagen Sie zu dieser Idee?
Instrumente für die Prüfung der Lage der Rechtsstaatlichkeit gibt es doch bereits, es gibt Vertragsverletzungsverfahren, den Europäischen Gerichtshof. Hier wird doch wieder nur ein neuer Mechanismus geschaffen, der Aufgaben übernimmt, die andere bereits wahrnehmen. Die EU bräuchte eine Phase der Stabilisierung – stattdessen denkt man sich andauernd neue Sachen aus. Wie ich schon sagte, ich halte es nicht für glücklich, wenn Politiker über rechtliche Fragen entscheiden.