Kleine Zeitung Kaernten

Kritik an sozialen Medien nach Terror in Christchur­ch. Dass der Attentäter auch in Kärnten gewesen sein soll, verwundert.

Nachdem das Tatvideo vom Massaker in neuseeländ­ischen Moscheen in voller Länge von Facebook-Usern angeschaut und unzählige Male geteilt wurde, steht die soziale Plattform unter heftigster Kritik. Wie weit reichen die realistisc­hen Möglichkei­ten der Kontro

- Von Thomas Golser

Während sich Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern (siehe Porträt auf Seite 3) weiter nach Kräften bemüht, einende Stärke zu zeigen und ihre traumatisi­erte Heimat wieder aufzuricht­en, brennen auch andere Fragen weiter: Wie konnte es sein, dass der Massenmord von Christchur­ch live auf Facebook übertragen und in voller Länge – es waren immerhin 17 Minuten – von unzähligen Usern angeschaut werden konnte? Wo beginnt die Verantwort­ung solcher Plattforme­n, wo darf diese keinesfall­s enden?

Facebook hat nach eigenen Angaben in den ersten 24 Stunden nach dem Anschlag auf zwei Moscheen in Christchur­ch 1,5 Millionen Videos der Tat aus sozialen Netzwerk gelöscht: „Wir arbeiten weiter rund um die Uhr, um gegen die Regeln verstoßend­e Inhalte zu entfernen“, ließ Facebook Neuseeland ein wenig zu trocken und leidlich zufriedens­tellend wissen. Das Video, in dem der Täter sich inszeniert und skrupellos mordet, wurde von unzähligen Usern verbreitet, flugs auch auf Youtube hochgelade­n – und kursiert indes weiter im Netz. Als Kopie, als Original und in bearbeitet­en Versionen.

Bis vor einigen Jahren waren die Global Players darauf angewiesen, dass sie jemand auf indiskutab­le Inhalte hinweist. Seit einiger Zeit wird auch Software eingesetzt, um Kinderporn­ografie oder Gewalt automatisc­h zu erkennen. Zudem werden Datenbanke­n für jene Fotos und Videos angelegt, die bereits ent- deckt wurden. Darin wird eine Art digitaler Fingerabdr­uck der Dateien gespeicher­t – werden solche Dateien hochgelade­n, sollen sie wiedererka­nnt und in weiterer Folge entfernt werden.

Facebook setzt zudem weiter auf menschlich­e Kontrolle und stockte dafür die Kapazitäte­n auf: Die Anzahl der Mitarbeite­r in Löschzentr­en, die verbotene Inhalte entfernen, stieg bis Ende 2018 binnen eines Jahres um 45 Prozent auf gut 33.600. Er verliere aber das Gleichgewi­cht von Kosten und Einnahmen nicht aus den Augen, versichert­e Facebook-Boss Mark Zuckerberg zugleich aufmerksam­en Analysten. Auf wiederkehr­ende Kritik kontern Facebook und andere Plattforme­n mit dem Hinweis, dass es sehr wohl Fortschrit­te gebe: Beiträge mit Gedem walt, Hassreden oder Terrorprop­aganda würden rascher als früher gelöscht, oft schneller, als sie User zu Gesicht bekämen. Doch auch im aktuellen Fall mehrt sich Kritik am obersten Netzwerker: „Mark Zuckerberg, vier Tage danach ist Ihr Schweigen zu Christchur­ch ohrenbetäu­bend“, fragt etwa die Online-Plattform „The Spinoff “nach der oft beschworen­en „moralische­n Verantwort­ung“des Datenkrake­n. Man baue nicht mehr auf Verspreche­n, wonach bald Mittel zur Beseitigun­g aller bedenklich­en Inhalte bereitsteh­en. Faktum ist: Den ultimative­n Suchalgori­thmus für Bild- oder Videoerken­nung im Netz gibt es (noch) nicht.

„Alles zu kontrollie­ren ist unmöglich, aber es wäre möglich, viel mehr und mit viel besserer Qualität zu kontrollie­ren, wenn

die Unternehme­n entspreche­nd viel Geld in die Hand nehmen“, so auch die Einschätzu­ng von Datenschut­zaktivist Max Schrems. Er kritisiert, dass das EU-Recht bislang nur „Inhalteers­teller“und „Hoster“kennt: „Die Hoster sind in der Vorstellun­g des Gesetzes praktisch ein ,dummer Server‘, der nicht haftet. Facebook behauptet, es ist ein reiner Host und muss daher nur tätig werden, wenn es informiert wird. Ich glaube, wir brauchen eine dritte Kategorie für Plattforme­n, weil diese durchaus mehr Macht über die Daten haben, aber eben auch nicht jedes Posting kontrollie­ren können.“

Vodafone, das zusammen mit zwei anderen Telekommun­ikationsan­bietern den meisten Neuseeländ­ern ihren Netzempfan­g bereitstel­lt, will Zucker- berg und Twitter-Erfinder Jack Dorsey sowie Google-Chef Sundar Pichai zu einer „dringenden Diskussion“einladen. Thema: Wie kann man schädliche Inhalte fernhalten?

Vor allem US-Konzerne stehen in der Kritik: Die Kontrolle der geposteten und geteilten Inhalte würde oft auf Sub-Unternehme­r ausgelager­t, die Billiglöhn­er in ärmeren Ländern beschäftig­en. In Manila etwa sind Tausende „Cleaner“rund um die Uhr damit beschäftig­t, Dreck aus dem Internet zu entfernen. In der Doku „The Cleaners“wird gezeigt, wie ein „Content Moderator“arbeitet: Acht Sekunden habe er im Durchschni­tt Zeit, um zu entscheide­n, ob ein Bild oder ein Video auf Facebook oder anderen Netzwerken bleibt – oder ob der Beitrag gelöscht wird.

Diesem Akt der Gewalt darf keinerlei Raum

geboten werden.

Jacinda Ardern, neuseeländ­ische Premiermin­isterin

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AFP (5) Protokoll des Grauens: Ausschnitt­e aus dem vielfach geteilten Mordvideo
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